Ruprecht-Karls-Universitδt Heidelberg
 

§ 8 Einführung ins Konzernrecht

I. Überblick

  • anders als in den allermeisten Rechtsordnungen enthält das deutsche Aktiengesetz-1965 in den §§ 15 ff., 291 ff. gesetzliche Vorschriften zum Konzernrecht, das eigentlich ein "Recht der verbundenen Unternehmen" ist, weil viele Vorschriften erst nicht am Begriff des Konzerns (§ 18 AktG) anknüpfen ž Bedeutung besitzt insb. der Begriff des "abhängigen bzw. herrschenden Unternehmens (§ 17 AktG) – vgl. unter II.2
  • das deutsche Konzernrecht ist nicht nur Konzernhaftungsrecht, sondern auch und vor allem Konzernorganisationsrecht
  • der Gesetzgeber der GmbH-Novelle von 1980 verzichtete darauf, das GmbH-Konzernrecht gesetzlich zu regeln

II. Grundbegriffe – zu den §§ 15 ff. AktG

  • die in §§ 15 – 19 AktG enthaltenen Vorschriften sind allgemeines Konzernrecht, gelten also rechtsformübergreifend

1. Verbundene Unternehmen – § 15 AktG

  • unmittelbare Bedeutung des Begriffes ist eher gering (vgl. etwa §§ 90 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1, 131 Abs. 1 Satz 2 AktG; § 51a Abs. 2 GmbHG), "Unternehmensbegriff" eröffnet aber den Weg zur Anwendung der weiteren konzernrechtlichen Bestimmungen

  • Gesetzgeber hat bewußt auf Regelung eines konzernrechtlichen Unternehmensbegriffs verzichtet ž teleologische Begriffsbestimmung erforderlich
  • "abhängiges Unternehmen" i.S.d. Gesetzes kann jeder identifizierbare Rechtsträger sein ž die Vorschriften des §§ 291 ff. finden unmittelbar allerdings auf eine AG (bzw. KGaA) als abhängiges Unternehmen Anwendung
  • ein "herrschendes Unternehmen" ist immer dann vorhanden, wenn ein Rechtsträger gleichzeitig auf zwei oder mehrere Unternehmen Einfluß nehmen kann ž weil immer dann die Gefahr einer "wirtschaftlichen Interessenbindung" außerhalb der Gesellschaft besteht ž auf die Rechtsform des herrschenden Unternehmens kommt es nicht an

BGHZ 69, 334 ("Veba/Gelsenberg"):

"a) Herrschendes Unternehmen kann auch die Bundesrepublik Deutschland sein.

b) Ein unter 50 % liegender Aktienbesitz kann in Verbindung mit weiteren verläßlichen Umständen rechtlicher oder tatsächlicher Art einen beherrschenden Einfluß begründen."

BGHZ 135, 107 ("Niedersachsen/Volkswagen"):

"c) Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist bereits dann als Unternehmen im konzernrechtlichen Sinne anzusehen, wenn sie lediglich ein in privater Rechtsform organisiertes Unternehmen beherrscht (Ergänzung zu BGHZ 69, 334, 334)."

2. Mehrheitsbeteiligung – § 16 AktG

  • mittelbare Bedeutung des Begriffes ist hoch ž Regelung bildet den Ausgangspunkt der sog. Vermutungskaskade der §§ 17, 18 AktG; unmittelbare Bedeutung ist dagegen gering ž Begriff erscheint nur in wenigen Vorschriften, vgl. § 56 Abs. 2, § 71d AktG
  • nach § 16 Abs. 1 kann eine Mehrheitsbeteiligung eine Anteils- oder eine Stimmenmehrheit sein (eine der beiden Mehrheiten genügt bereits!) ž die Abs. 2 – 4 enthalten Vorschriften über die Zurechnung von Anteilen und Stimmrechten

3. Abhängigkeit - § 17 AktG

  • Begriff hat für das gesamte Konzernrecht zentrale Bedeutung und zwar sowohl unmittelbar ž insb. knüpfen die Regelungen der §§ 311 ff. für sog. faktische Konzerne hieran an; als auch mittelbar ž ist Grundlage der Konzernvermutung (§ 18 Abs. 1 Satz 3)

  • nach § 17 Abs. 1 kommt es für die Abhängigkeit lediglich auf die Möglichkeit einer Einflussnahme an, aber die Einflussmöglichkeit muss strukturell verfestigt sein
  • Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 macht deutlich, dass der relevante Einfluss gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss ž nicht erfasst wird deshalb nach h.M. die sog. "existenzielle Wirtschaftsabhängigkeit" und auch nicht der auf der Ausübung des Depotstimmrechts der Banken bestehende Einfluss

BGHZ 90, 381 ("BuM"):

"a) Ein beherrschender Einfluß im Sinne von § 17 AktG muß gesellschaftsrechtlich bedingt oder zumindest vermittelt sein. Eine durch Austauschbeziehungen, zum Beispiel einen Kreditvertrag, begründete rein wirtschaftliche Abhängigkeit reicht hierfür nicht aus. Durch sie kann sich lediglich ein ohnehin schon bestehender gesellschaftsinterner Einfluß zu einem beherrschenden Einfluß verstärken"

  • auch eine Minderheitsbeteiligung kann die Abhängigkeit begründen, wenn weitere Umstände hinzutreten, vgl. BGHZ 69, 334 ("Veba/Gelsenberg") und BGHZ 135, 107 ("Niedersachsen/VW") ž allein die Tatsache, dass der Aktionär eine Sperrminorität von 25 % besitzt, genügt jedoch nicht

  • Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG kann widerlegt werden – bei der AG ž wenn Stimmrechtsbeschränkungen bestehen; – bei einer GmbH ž wenn andere Gesellschafter wichtige Sonderrechte besitzen; – bei Personengesellschaften ž schon dann, wenn für Beschlußfassung Einstimmigkeit gilt
  • zulässig ist auch der Abschluss eines "Entherrschungsvertrages", der das mit Mehrheit beteiligte Unternehmen daran hindert, seine Macht tatsächlich auszuüben

4. Konzern

  • entscheidend für das Vorliegen eines Konzerns ist die Zusammenfassung mehrerer Unternehmen unter einheitliche Leitung (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG)
  • nicht begriffsnotwendig ist dagegen das Vorhandensein von "Abhängigkeit" (vgl. § 18 Abs. 2 AktG) ž unterschieden werden deshalb Unterordnungskonzerne (Abhängigkeit vorhanden) und Gleichordnungskonzerne (keine Abhängigkeit)

  • "einheitliche Leitung" liegt insb. vor, wenn die Unternehmen der Gruppe in ein zentrales Finanzmanagement eingebunden werden; bei der Koordination anderer Führungsbereiche (Produktion, Vertrieb, Datenverarbeitung u.a.) kommt es auf das Gesamtbild an
  • praktische Bedeutung des Konzernbegriffs ist sehr gering, vgl. z.B. § 100 Abs. 2 AktG

III. Vertragskonzernrecht (§§ 291 – 310 AktG)

  • Vertragskonzerne bauen fast immer auf einem Beherrschungsvertrag auf: eine AG/KGaA unterstellt sich vertraglich der Leitung eines anderen Unternehmens (§ 291 Abs. 1 Satz 1)
  • wichtigste Rechtsfolge: der Vorstand der herrschende Gesellschaft kann den Vorstand der beherrschten Gesellschaft anweisen und dabei sogar – für die beherrschte AG – nachteilige Weisungen erteilen (§ 308 AktG) ž wichtigste Folgen:

    • der Vorstand der beherrschten AG ist nicht länger zur eingenverantwortlichen Leitung (§ 76 Abs. 1 AktG) berechtigt
    • bei der beherrschten AG ändert sich die Zielbestimmung: wirtschaftliche Ausrichtung auf herrschendes Unternehmen bzw. Unternehmensgruppe (dienende Funktion)
    • die aktienrechtliche Vermögensbindung wird aufgehoben (vgl. § 291 Abs. 3 AktG)

  • der Beherrschungsvertrag und der Gewinnabführungsvertrag, der regelmäßig gemeinsam mit einem Beherrschungsvertrag abgeschlossen wird, gehören einem besonderen Vertragstyp an ž Organisationsvertrag (demgegenüber sind die vier "anderen Unternehmensverträge" des § 292 – Gewinngemeinschaft, Teilgewinnabführungsvertrag, Betriebspachtvertrag, Betriebsüberlassungsvertrag – schuldrechtliche Austauschverträge
  • zum Abschluss eines Beherrschungsvertrages vgl. die §§ 293 ff. AktG ž wichtig ist insb. die Vorschrift des § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG: Unternehmensverträge werden erst mit der Zustimmung der Hauptversammlung wirksam; bei Beherrschungsverträgen muss auch die HV der herrschenden AG zustimmen (§ 293 Abs. 2 AktG)
  • Gesellschafterschutz: den außenstehenden Aktionären ist ein Abfindungsangebot zu unterbreiten (§ 305 AktG); außerdem Schutz der in der AG verbleibenden Minderheitsgesellschafter durch § 304: Zahlung eines angemessenen Ausgleich (Mindestdividende)
  • Gläubigerschutz: in den §§ 300 – 303 geregelt; wichtig insb. § 302 Abs. 1 Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zum Verlustausgleich; anders als bei der Eingliederung (vgl. § 322 AktG) können die Gläubiger allerdings nicht direkt auf die herrschende Gesellschaft "durchgreifen"

IV. Recht der faktischen Konzerne (§§ 311 – 318 AktG)

  • faktische Konzerne sind Konzerne (verbundene Unternehmen), deren Verhältnisse nicht durch Beherrschungsverträge geregelt worden sind
  • § 311 Abs. 1 macht deutlich, dass bereits am Abhängigkeitsbegriff angeknüpft wird
  • bereits § 311 Abs. 1 offenbart die innere Widersprüchlichkeit der den §§ 311 – 318 zugrunde liegenden gesetzgeberischen Konzeption: einerseits wird als Grundsatz hervorgehoben, der abhängigen Gesellschaft dürften keine Nachteile zugefügt werden; andererseits wird die Nachteilszufügung gestattet, wenn dieser Nachteil später ausgeglichen wird
  • praktische Bedeutung besitzt im System der §§ 311 ff. insb. der Abhängigkeitsbericht nach § 312 Abs. 1, 3

  • die §§ 311 ff. versuchen außenstehende Gläubiger und Minderheitsgesellschafter von bereits bestehenden Konzernen zu schützen
  • daneben treten immer mehr Mechanismen einer Konzerneingangskontrolle: Mitteilungspflichten nach den §§ 20, 21 AktG, §§ 21 ff. WpHG; das Pflichtangebot nach § 35 Übernahmegesetz; sowie auch Schutzmechanismen auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft (Stichwort: Aufbau eines Unternehmensverbund ist "Holzmüller-Maßnahme")
Zurück