§ 7 Finanzverfassung der Aktiengesellschaft
I. Kapitalerhaltung
1. Überblick über das aktienrechtliche Kapitalerhaltungssystem
- anders als § 30 Abs. 1 GmbHG schützt § 57 AktG das gesamte Vermögen
der AG (und nicht nur das zur Erhaltung des Grundkapitals notwendige
Vermögen)
- gewisse Ausnahmen: § 26 (Sondervorteile); §§ 71 ff. (Erwerb eigener
Aktien); §§ 222 ff. (förmliche Kapitalherabsetzung); §§ 29 ff.
UmwG (Abfindung von Minderheiten bei Umwandlungen)
- Rechtsfolgen: spezieller gesellschaftsrechtlicher Rückgewähranspruch
nach § 62 AktG (entspricht funktionell § 31 GmbHG)
2. Erwerb eigener Aktien
- in der Wirtschaftskrise von 1930 förderte der massive Erwerb
eigener Aktien den Zusammenbruch der deutschen Großbanken und
anderer Unternehmen deshalb eingehende Regelung der Problematik in
den §§ 71 ff. AktG
- generelles Verbot eines Erwerbs eigener Aktien, aber ausnahmsweise
zulässig in den acht Fallgruppen des § 71 Abs. 1
- mit der 1998 neugeschaffenen Regelung des § 71 Abs. 1 Nr. 8 bereits
sehr weitgehende Lockerung des generellen Verbots (weiter untersagt
ist jedoch Spekulation mit eigenen Aktien); zudem Höchstgrenze
von 10 % des Grundkapitals
- bei Verstoß gegen das Verbot ist das schuldrechtliche Geschäft
nichtig, das Verfügungsgeschäft jedoch wirksam (§ 71 Abs.
4)
3. Eigenkapitalersatzrecht
BGHZ 90, 381 ("BuM"):
"b) Die vom Senat entwickelten Grundsätze
über die Behandlung kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen
sind auf eine Aktiengesellschaft sinngemäß anzuwenden,
wenn der Gläubiger an ihr unternehmerisch beteiligt ist. Davon
ist regelmäßig bei einem Aktienbesitz von mehr als 25
% des Grundkapitals auszugehen. Bei einer darunter liegenden, aber
nicht unbeträchtlichen Beteiligung kann ein Gesellschafterdarlehen
als haftendes Kapital einzustufen sein, wenn die Beteiligung in
Verbindung mit weiteren Umständen dem Gläubiger Einfluß
auf die Unternehmensleitung sichert und er ein entsprechendes unternehmerisches
Interesse erkennen läßt."
|
- Rechtsfolgen: Bindung der Darlehen gemäss § 62 AktG i.V.m. §
30 Abs. 1 GmbHG analog - eventuell Rückforderungsanspruch nach
§ 62 AktG analog
- analoge Anwendung von §§ 32a, b GmbHG ?
II. Kapitalerhöhung
1. (Reguläre) Kapitalerhöhung gegen Einlagen
(§§ 182 191 AktG)
a) Ablauf
- satzungsändernder Hauptversammlungsbeschluss (§ 182 Abs. 1,
3 AktG) muss neue Höhe des Grundkapitals sowie Nennbetrag der
neuen Aktien bestimmen die Festlegung des Ausgabebetrages kann dem
Vorstand überlassen werden
- Anmeldung des Kapitalerhöhungsbeschlusses zum Handelsregister
(§ 184 vgl. aber auch § 188 Abs. 4 AktG)
- Zeichnung der neuen Aktien (§ 185)
- Durchführung der Kapitalerhöhnung (§ 188 Abs. 2 i.V.m.
§§ 36 Abs. 2, 36a, 37 Abs. 1 AktG bei Sacheinlage ferner § 183 AktG)
- Anmeldung der Durchführung der Kapitalerhöhung zum Handelsregister
(§ 188)
- Entstehung der neuen Mitgliedschaften (§ 189) und Ausgabe der neuen
Aktien an die Aktionäre (§ 191 AktG)
b) Bezugsrecht
- das Recht des Aktionärs, bei einer Kapitalerhöhung einen
seinem Anteil am bisherigen Grundkapital entsprechenden Teil der neuen
Aktien beziehen zu können (§ 186 Abs. 1) korrespondiert nicht
mit einer Bezugspflicht
- Bezugsrechte können selbständig gehandelt werden
c) Ausschluss des Bezugsrechts
- ist schwerwiegender Eingriff in die Rechte der Aktionäre in
bestimmten Situationen (z.B. wenn in die AG ein Unternehmen als Sacheinlage
eingebracht werden soll) ist eine Ausschluss aber erforderlich deshalb
grundsätzlich zulässig (vgl. § 186 Abs. 3)
- das AktG versucht die Aktionäre hier in erster Linie durch Verfahrensvorschriften
zu schützen; vgl. insb. § 186 Abs. 4: schriftlicher Bericht des
Vorstands
- daneben praktizieren die Gerichte eine sog. materielle Inhaltskontrolle
der Hauptversammlungsbeschlüsse über einen Bezugsrechtsausschluß:
BGHZ 71, 40 ("Kali & Salz"):
"a) Eine Kapitalerhöhung durch Sacheinlagen
ist bei angemessener Bewertung von Leistung und Gegenleistung
zulässig, wenn die Gesellschaft nach vernünftigen kaufmännischen
Überlegungen ein dringendes Interesse am Erwerb des Gegenstandes
hat und zu erwarten ist, der damit angestrebte Nutzen werde den
verhältnismäßigen Beteiligungs- und Stimmrechtsverlust
der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre aufwiegen.
b) Für das Fehlen dieser Voraussetzungen ist
ein Aktionär, der den Kapitalerhöhungsbeschluß anficht,
grundsätzlich beweispflichtig; jedoch muß die Gesellschaft
die für den Beschluß maßgebenden Gründe im
einzelnen darlegen. ..."
|
- 1994 Abschwächung des Schutzes durch den Gesetzgeber: gemäss
§ 186 Abs. 3 Satz 4 ist bei börsennotierten Gesellschaften ein
Ausschluss des Bezugsrechts unter bestimmten Voraussetzungen ohne weitere
Rechtfertigung zulässig
2. Bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 201 AktG)
- ist Sonderform der Kapitalerhöhung für bestimmte Sonderfälle
(vgl. Aufzählung in § 192 Abs. 2), bei denen die Höhe des
benötigten Kapitals nicht von vornherein feststeht
- ob Beschluß der mater. Inhaltskontrolle unterliegt, ist umstritten
3. Genehmigtes Kapital (§§ 202 206 AktG)
- in der geschichtlichen Entwicklung hat das deutsche Aktienrecht zu
diesem Finanzierungsinstrument, das tendenziell die Stellung des Vorstands
wesentlich stärkt, immer im Wechsel recht großzügige
und sehr restriktive Positionen eingenommen
- die Zulässigkeit des genehmigten Kapitals nach den §§ 202 ff.
AktG wird in erster Linie mit der Schwerfälligkeit der AG-Hauptversammlung
begründet
- das AktG versucht, den mit einem genehmigten Kapital verbundenen Gefahren
durch Beschränkungen zu begegnen; insb.: Befristung der Ermächtigung
auf max. 5 Jahre (§ 202 Abs. 1, 2); Obergrenze für Nennbetrag
50 % des Grundkapitals (§ 202 Abs. 3 Satz 1); für Aktienausgabe
Zustimmung des Aufsichtsrats notwendig (§ 202 Abs. 3 Satz 2)
- Genehmigtes Kapital mit Bezugsrechtsausschluss
- grundsätzlich kann beim genehmigten Kapital das Bezugsrecht der
Aktionäre schon im Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung
ausgeschlossen werden (§ 203 Abs. 1 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4); zudem kann
die Hauptversammlung den Vorstand ermächtigen, das Bezugsrecht
nach eigenem Ermessen auszuschließen (§§ 203 Abs. 2, 204 Abs.
1 Satz 2) jeweils Berichtspflicht des Vorstand (§ 186 Abs. 4)
BGHZ 83, 319 ("Holzmann"):
"Ein Hauptversammlungsbeschluß, den Vorstand
im Rahmen genehmigten Kapitals auch zum Ausschluß des Bezugsrechts
zu ermächtigen, ist nur zulässig, wenn nach der Lage der
Gesellschaft und dem Stand der Pläne für ihre Zukunft
konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, es könnte sich
innerhalb der dem Vorstand eingeräumten Frist als notwendig
und auch im Hinblick auf die Interessen der betroffenen Aktionäre
als vertretbar erweisen, bei der Ausgabe neuer Aktien das Bezugsrecht
auszuschließen. Diese Voraussetzung hat der Vorstand in seinem
Bericht nach § 186 Abs. 4 Satz 2, 203 Abs. 2 Satz 2 AktG darzulegen."
|
BGHZ 136, 133 ("Siemens/Nold"):
"a) Im Rahmen des genehmigten Kapitals kann die
Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre dann ausschließen
oder den Vorstand zu dem Bezugsrechtsausschluss ermächtigen,
wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand
ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft
liegt und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form
bekannt gegeben wird (Aufgabe von BGHZ 83, 319.
b) Der Vorstand darf von der Ermächtigung
zur Kapitalerhöhung und zum Bezugsrechtsausschluss nur dann
Gebrauch machen, wenn das konkrete Vorhaben seiner abstrakten Umschreibung
entspricht und auch im Zeitpunkt seiner Realisierung noch im wohlverstandenen
Interesse der Gesellschaft liegt. Er hat diesen Umstand im Rahmen
seines unternehmerischen Ermessens sorgfältig zu prüfen."
|
- praktische Anwendung dieser Formel z.B. in BGHZ 144, 290, 294 f.
4. Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§
207 220 AktG)
- keine Zuführung neuen Kapitals von außen, sondern Umwandlung
von Kapital- und Gewinnrücklagen in Grundkapital; verstärkt
die Bindung des Kapitals
- zum Verfahren siehe § 207 Abs. 1, 2
- bei den neuen Aktien müssen die Beteiligungsverhältnisse
gewahrt bleiben (§ 212; vgl. auch § 216 Abs. 1), auch der AG stehen
für eigene Aktien neue Aktien zu (§ 215 Abs. 1)
III. Kapitalherabsetzung
1.Überblick
- nur bei der (sehr seltenen) effektiven Kapitalherabsetzung
wird tatsächlich überschüssiges Grundkapital zurückgezahlt;
bei der nominellen Kapitalherabsetzung wird dagegen die Höhe
des satzungsmäßigen Grundkapitals an die Höhe des (noch)
vorhandenen Kapitals angepasst
- das AktG unterscheidet die ordentliche von der vereinfachten Kapitalherabsetzung;
letztere kommt lediglich bei nominellen Kapitalherabsetzungen in Frage
2. Ordentliche Kapitalherabsetzung (§§ 222 228 AktG)
- erforderlich ist ein satzungsändernder Beschluss
der Hauptversammlung, vgl. insb. § 222
- besonderer Schutz der (Minderheits-)Gesellschafter
?
BGHZ 138, 71 ("Sachsenmilch"):
"a) Ein Hauptversammlungsbeschluß über
die Herabsetzung des Grundkapitals bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung.
Eine solche folgt bereits aus der gesetzlichen Regelung, die auf
einer Abwägung der Aktionärsbelange und des Interesses
der Gesellschaft an der Maßnahme beruht. ..."
|
- zum Schutz der Gläubiger siehe § 225 Abs.
1 und 2
3. Vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229 236
AktG)
- ist nur bei einer nominellen Kapitalherabsetzung zulässig zu
weiteren Voraussetzungen siehe § 229 Abs. 2
- generell finden die Vorschriften für die ordentliche Kapitalherabsetzung
Anwendung, nicht aber § 225 an die Stelle dieser Norm treten die §§
230 - 233
4. Verbindung von Kapitalherabsetzung und (anschließender)
Kapitalerhöhung
- von dieser Kombination wird in Sanierungsfällen relativ häufig
Gebrauch gemacht das AktG hält dieses Vorgehen grundsätzlich
für zulässig (vgl. §§ 228 Abs. 1, 235)
- möglich ist es sogar, das Grundkapital in einem ersten Schritt
"auf Null" herabzusetzen und anschließend sogleich wieder zu erhöhen
BGHZ 142, 167:
"a) Wird das Grundkapital einer Aktiengesellschaft
im Zuge der Herabsetzung auf Null erhöht, gebietet die Treupflicht
dem Mehrheitsaktionär, möglichst vielen Aktionären
den Verbleib in der Gesellschaft zu eröffnen. Daraus ergibt
sich grundsätzlich die Pflicht, das Entstehen unverhältnismäßig
hoher Spitzen dadurch zu vermeiden, daß der Nennwert der neuen
Aktien auf den gesetzlichen Mindestbetrag festgelegt wird. ..."
|
|