Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

§ 6 Die innere Organisation der AG

I. Grundlagen

1. Zwingend dreigliedrige Organisation

  • das deutsche Aktienrecht gibt zwingend eine dreigliedrige Organisationsstruktur vor (Vorstand, Aufsichtsrat, Hauptversammlung) ® erste Regelung des Aufsichtsrates in Art. 225 ADHGB von 1861 als fakultatives Organ ® die Aktiennovelle von 1870 erklärt dann den Aufsichtsrat für obligatorisch
  • insb. im angloamerikanischen Rechtskreis und in Frankreich dagegen zweigliedrige Organisation der AG (sog. "Board-System")

2. Ausbalanciertes (verbandsrechtliches) Selbstregulierungssystem

  • der Gesetzgeber der (2.) Aktiennovelle von 1884 lehnte es ab, staatliche Behörden mit der Beaufsichtigung des Aktienwesens zu betrauen ® statt dessen sollten die Aktionäre zum Selbstschutz befähigt werden ® diesem Konzept entsprechend wurden die gesetzlichen Regelungen zur inneren Organisation der AG reformiert
  • spätere Reformen verfeinerten das Organisationsrecht hin zu einer strikten Funktionstrennung bei den Gesellschaftsorganen ® gewährleistet werden soll eine Machtbalance

3. Corporate Governance

- Deutscher Corporate Governance Kodex vom 26.02.2002 (ZIP 2002, 452 ff.)

    • informiert Anleger über die im deutschen Recht geltenden Grundsätze für die Leitung und Überwachung der AG
    • enthält Empfehlungen zur Verbesserung der Leitung und Überwachung der AG ("Best-practive"-Verhaltensregeln) ® der durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz v. 19.7.2002 neueingefügte § 161 AktG verpflichtet Vorstände und Aufsichtsräte zur Abgabe sog. Entsprechungserklärungen
    • gibt weitergehende Anregungen für gute Corporate Governance

II. Hauptversammlung

1. Zuständigkeit

· Zuständigkeiten im Bereich der sog. laufenden Angelegenheiten

  • sind vor allem im Katalog des § 119 Abs. 1 AktG enthalten:

  • Nr. 1: Wahl der Anteilseigner-Aufsichtsräte (soweit nicht Entsendungsrecht nach § 101 Abs. 2 AktG) ® ebenso Abberufung dieser Aufsichtsratsmitglieder (§ 103 Abs. 1 AktG)
  • Nr. 2: Verwendung des Bilanzgewinns ® Hauptversammlung ist aber an (festgestellten) Jahresabschluss gebunden (§ 174 Abs. 1 AktG); dieser wird grundsätzlich von Vorstand und Aufsichtsrat festgestellt (§ 172 AktG), wobei diese Organe das Recht haben, die Hälfte des Jahresüberschusses in Gewinnrücklagen einzustellen (§ 58 Abs. 2 AktG)
  • Nr. 3: Entlastung der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat ® hat im Aktienrecht lediglich symbolische Bedeutung (anders als im GmbH-Recht!), vgl. § 120 Abs. 2 Satz 2, auch § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG
  • Nr. 4: Wahl des Abschlussprüfers ® den Prüfungsauftrag erteilt aber der Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG)
  • Nr. 7: enthält eine spezielle Zuständigkeit für die Anordnung einer Sonderprüfung (vgl. auch die §§ 142 – 146 AktG)
  • daneben Zuständigkeit der Hauptversammlung in einigen (mehr oder minder bedeutsamen) Einzelfällen: z.B. Festsetzung einer Vergütung für Aufsichtsratsmitglieder (§ 113 Abs. 1 AktG) oder die Entscheidung über die Geltendmachung von (bzw. den Verzicht auf) Ersatzansprüchen (§§ 50, 93 Abs. 4 Satz 3, 117 Abs. 4, 147 Abs. 1 Satz 1 AktG)
  • dagegen generell keine Zuständigkeit der Hauptversammlung für Fragen der Geschäftsführung ® Ausnahme: wenn Vorstand eine Frage der Hauptversammlung zur Entscheidung vorlegt (§ 119 Abs. 2 AktG) ® Vorlage für Vorstand eventuell bedeutsam wegen Haftungsvermeidung (vgl. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG) ® Regelung hat aber keine praktische Bedeutung
  • BGHZ 146, 288 ("Milupa"):
  • "a) Verlangt der Vorstand einer Aktiengesellschaft gemäß § 119 Abs. 2 AktG in einer Geschäftsführungsangelegenheit die Entscheidung der Hauptversammlung, so muss er ihr auch die Informationen geben, die sie für eine sachgerechte Willensbildung benötigt."
  • kommt ein Beschluss der Hauptversammlung auf der Grundlage von § 119 Abs. 2 AktG zustande, so ist der Vorstand zu dessen Befolgung verpflichtet (vgl. § 83 Abs. 2 AktG)

· "geschriebene" Zuständigkeiten im Bereich der sog. "Grundlagenentscheidungen"

  • beachte: im Aktienrecht wird ein anderer "Grundlagen"-Begriff gebraucht als im Personengesellschaftsrecht ® hier mehr i.S.v. "Strukturentscheidungen"
  • beachte außerdem: Grundlagenentscheidungen benötigen generell eine qualifizierte Hauptversammlungsmehrheit gemäß § 179 Abs. 2 AktG (¾ des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals)
  • Satzungsänderungen (§ 119 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 179 AktG)
  • Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung (§ 119 Abs. 1 Nr. 6 AktG) ® werden in den §§ 182 – 240 AktG sehr detailliert geregelt
  • Auflösung (§ 119 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. § 262 Abs. 1 Nr. 2 AktG)
  • Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Vermögens: § 179a AktG – sog. "übertragende Auflösung" ® wirft viele Folgeprobleme beim Schutz der Minderheit auf ® dazu Beschluss des BVerfG v. 23.8.2000 (1 BvR 68/95), NJW 2001, 279 ("Moto-Meter"): Regelung ist verfassungskonform, soweit Minderheit voll entschädigt und dies einer gerichtlichen Prüfung unterzogen wird
  • im Konzernrecht z.B. Abschluss von Unternehmensverträgen (§ 293 Abs. 1 AktG) und Eingliederung (§ 319 Abs. 1 AktG)
  • im Umwandlungsrecht z.B. Verschmelzung (§§ 13 Abs. 1, 65 UmwG); Spaltung, Abspaltung, Ausgliederung (§ 125 UmwG); Formwechsel (§§ 193 Abs. 1, 233, 240 UmwG)

· "ungeschriebene" Grundlagenkompetenzen

BGHZ 83, 122 ("Holzmüller"):

"a) Bei schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre, wie z.B. der Ausgliederung eines Betriebs, der den wertvollsten Teil des Gesellschaftsvermögens bildet, auf eine dazu gegründete Tochtergesellschaft, kann der Vorstand ausnahmsweise nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sein, gemäß § 119 Abs. 2 eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen.

b) Macht ein Aktionär geltend, der Vorstand habe bei einer Betriebsausgliederung die notwendige Zustimmung der Hauptversammlung nicht eingeholt, so kann er auf Feststellung klagen, dass die Maßnahme nichtig oder unzulässig sei. ...."

  • h.M. des rechtswissenschaftlichen Schrifttums stützt "Holzmüller-Doktrin" unterdessen auf eine Gesamtanalogie zu jenen gesetzlichen Vorschriften des AktG und des UmwG, welche eine Zuständigkeit der Hauptversammlung für sog. Struktur- bzw. Grundlagenentscheidung bestimmen ® deshalb ist für die Beschlussfassung eine qualifizierte Mehrheit erforderlich
  • zu den sog. "Holzmüller-Maßnahmen" werden u.a. gerechnet: die Bildung eines faktischen Konzerns durch den Erwerb von Beteiligungen; Maßnahmen der Konzernleitung wie Kapitalerhöhungen und weitere Strukturbeschlüsse bei Tochtergesellschaften und die Beteiligung von Dritten an einer bislang 100%igen Tochter; eine Veräußerung wesentlicher Unternehmensteile; die Aufgabe von wichtigen Betrieben und Tätigkeitsbereichen; sog. Teilfusionen; der Gang an die Börse; das sog. "Going Private"
  • die Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung stärkt indirekt auch die Informationsrechte ® vgl. BGHZ 146, 288 ("Milupa")

2. Einberufung, Ablauf und Beschlussfassung

a) Einberufung

  • Wer beruft ein? ® generell der Vorstand (§ 121 Abs. 2), ausnahmsweise der Aufsichtsrat (§ 111 Abs. 3); schließlich ist eine (Kapital-)Minderheit von 5 % der Aktionäre berechtigt, die Einberufung der Hauptversammlung zu verlangen (§ 122 Abs. 1, 3)
  • Einberufungsfrist? ® § 123 Abs. 1: mindestens ein Monat
  • Wie erfolgt die Einberufung? ® gemäß § 121 Abs. 3 durch Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern (vgl. § 25 AktG ® jetzt also zumindest Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger); außerdem Mitteilung an alle Namensaktionäre (§ 125 Abs. 2 Nr. 3), sonst über die Depotbanken (§ 128 Abs. 1)
  • Was muss die Einberufung enthalten? ® die Tagesordnung (§ 124 Abs. 1); bei Satzungs-änderungen den Wortlaut und bei zustimmungspflichtigen Verträgen den wesentlichen Inhalt (§ 124 Abs. 2 Satz 2); Vorschläge für die Beschlussfassung (§ 124 Abs. 3)
  • der einzelne Aktionär hat das Recht, bis zu zwei Wochen vor dem Tag der Hauptversammlung Gegenanträge zu stellen ® Vorstand hat diese Anträge dann allen Aktionären zugänglich zu machen (§ 126 Abs. 1 AktG n.F.)
  • Minderheit von 5 % bzw. 500.000 Euro kann eine Ergänzung der Tagesordnung verlangen (§ 122 Abs. 2)

b) Ablauf der Hauptversammlung

  • die Hauptversammlung kann sich eine Geschäftsordnung geben (§ 129 Abs. 1 Satz 1) ® regelmäßig ist vorgesehen, dass der Aufsichtsratsvorsitzende die Hauptversammlung leitet
  • an sich sind Hauptversammlungen als Mitgliederversammlungen eines Verbandes nicht öffentlich ® der durch das Transparenz- und Publizitätsgesetz (v. 19.7.2002) eingefügte § 118 Abs. 3 ermöglicht jedoch Satzungsregelungen, welche die Übertragung der Hauptversammlung "in Bild und Ton" gestatten
  • gemäß § 131 Abs. 1 ist jeder Aktionär berechtigt, vom Vorstand Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu verlangen, soweit dies zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist ® Vorstand darf in den Fällen des § 131 Abs. 3 Auskunft verweigern (praktisch bedeutsam ist insb. Nr. 1)
  • alle Beschlüsse der Hauptversammlung sind notariell zu protokollieren (§ 130 Abs. 1, 4)

c) Beschlussfassung

  • grundsätzlich benötigen Beschlüsse der Hauptversammlung die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 133 Abs. 1)
  • Satzungsänderungen und andere Grundlagenbeschlüsse erfordern eine Dreiviertelmehrheit des bei der Abstimmung vertretenen Grundkapitals (und nach h.M. zudem die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen); vgl. z.B. § 179 Abs. 2 Satz 1
  • in einigen besonderen Fällen sind noch höhere Mehrheiten erforderlich; z.B. Eingliederung durch Mehrheitsbeschluss (§ 320) oder Ausschluss einer Minderheit (§ 327a)
  • bei Änderung des Unternehmenszieles ist nach überwiegender Meinung Einstimmigkeit nötig (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB)
  • Stimmverbote ® insb. Ruhen des Stimmrecht für eigene Aktien (§ 71b AktG) sowie den Ausschluss des Stimmrechts in den (engen) Fällen des § 136 Abs. 1
  • zum Banken- bzw. Depotstimmrecht trifft das deutsche Recht detaillierte Sonderregelungen in den §§ 128, 135 AktG
  • so genannte Proxy- oder Verwaltungsstimmrechts-Modelle ® sind in Deutschland seit ca. 1930 wegen der erforderlichen Funktionstrennung zwischen den Organen als unzulässig angesehen worden ® Anfang 2001 gesetzgeberische Teillegalisierung "durch die Hintertür" (vgl. § 134 Abs. 3 Satz 3)

3. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen

a) Zur Einordnung der §§ 241 ff. AktG

  • Vorschriften finden auch im Genossenschaftsrecht analoge Anwendung und modifiziert ebenso im GmbH-Recht
  • das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht kennzeichnen zwei prägnante Aspekte:

    • Unterscheidung in Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe
    • die Anfechtbarkeit eines Beschlusses kann nur innerhalb kurzer Zeit und nur durch Klage geltend gemacht werden

b) Nichtige Beschlüsse

  • Nichtigkeitsgründe ® vgl. insb. §§ 241, 250, 256 AktG ® haben insgesamt nur eine geringe praktische Bedeutung
  • zur Heilung nichtiger Beschlüsse vgl. § 242 AktG

c) Anfechtbare Beschlüsse

  • sind bis zur Anfechtung vorläufig wirksam ® können nur durch Anfechtungsklage beseitigt werden ® klagt niemand, wird der Beschluss mit Fristablauf endgültig wirksam
  • Wer darf anfechten? ® vgl. § 245 AktG
  • Wie lange darf angefochten werden? ® § 246 AktG: ein Monat ab Beschlussfassung
  • Anfechtungsgründe? ® vgl. insb. § 243 Abs. 1 AktG

    • Verfahrensfehler ® große praktische Bedeutung haben vor allem

    • fehlerhafte und unvollständige Berichte
    • Verletzung des Auskunftsanspruchs nach § 131 AktG (Auskunftsverweigerung muss aus Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs für die Abstimmung relevant gewesen sein)

    • Verstöße gegen das materielle Recht ® haben nur geringe praktische Bedeutung

    • Spezialtatbestände wie die §§ 254, 255 Abs. 2 AktG; außerdem Verletzung des Gleichbehandlungsprinzips und Verstöße gegen die Treupflicht
    • Tatbestand des § 243 Abs. 2 AktG (Verfolgung von Sonderinteressen) hat dagegen heute fast keine praktische Bedeutung mehr

- Auswirkungen der Anfechtung auf den Beschluss?

    • bevor ein rechtskräftiges Urteil existiert:

    • Beschluss formell wirksam ® Vorstand jedoch eventuell verpflichtet, sich der Ausführung zu enthalten ® eventuell Beseitigung der Anfechtbarkeit durch Bestätigungsbeschluss der Hauptversammlung nach § 244 AktG
    • zur Verkürzung dieses Schwebezustands dient im Umwandlungsrecht die neuartige Regelung eines sog. Unbedenklichkeitsverfahrens (§ 16 Abs. 3 UmwG)

    • mit Rechtskraft des (stattgebenden) Urteils

    • Vernichtung des Beschlusses mit Wirkung für die Vergangenheit, § 241 Nr. 5 AktG ® anders bei vielen strukturändernden Beschlüssen, vgl. z.B. § 20 Abs. 2 UmwG
    • Urteil wirkt für alle Aktionäre, Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder (§ 248 Abs. 1 AktG)

d) Missbrauch der Anfechtungsbefugnis

BGHZ 107, 296 ("Koch’s Adler")

c) Einer Anfechtungsklage i.S. des § 246 AktG kann mit dem Einwand des individuellen Rechtsmissbrauchs begegnet werden. die Voraussetzungen dafür können bereits dann gegeben sein, wenn der Kläger eine Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebt, die verklagte Gesellschaft in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann, wobei er sich im allgemeinen von der Vorstellung leiten lassen wird, die verklagte Gesellschaft werde die Leistung erbringen, weil sie hoffe, daß der Eintritt anfechtungsbedingter Nachteile und Schäden dadurch vermieden oder zumindest gering gehalten werden könne.

III. Vorstand

1. Stellung

  • Verpflichtung zur Leistung des Unternehmens in eigener Verantwortung (§ 76 Abs. 1 AktG) ® geht über "Geschäftsführung" und "Vertretung" hinaus ® ist auch Festlegung der Richtlinien der Unternehmenspolitik
  • Grenzen:

    • Zuständigkeit der anderen Organe (z.B. der Hauptversammlung für "Holzmüller-Maßnahmen")
    • satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand ® darf nicht überschritten werden und auch nicht dauerhaft unausgefüllt bleiben

  • innerhalb dieser Grenzen hat der Vorstand ein weites unternehmerisches Ermessen

2. Organisation des Vorstandes

  • der Vorstand wird vom Aufsichtsrat bestellt und abberufen (§ 84 AktG) und besteht aus einer oder mehreren Personen (§ 76 Abs. 2 AktG) ® regelmäßig gehört dem Vorstand ein Arbeitsdirektor an (§ 33 Mitbestimmungsgesetz)
  • grundsätzlich Gesamtgeschäftsführung (§ 77 Abs. 1 Satz 2 AktG) ® Aufsichtsrat kann aber auch Vorstandsvorsitzenden ernennen (§ 84 Abs. 2 AktG) ® Stärkung dessen Position durch Stichentscheids- oder Vetorecht
  • in der Praxis größerer Unternehmen ist Gesamtgeschäftsführung die absolute Ausnahme; statt dessen:

    • funktionelle Gliederung (Produktion, Einkauf, Absatz, Finanzen usw.)
    • divisionale oder Spartenorganisation
    • Matrixorganisation
    • "virtuelle Holdingstruktur" ("Deutsche Bank – Modell")

IV. Aufsichtsrat

1. Größe und Zusammensetzung; Bestellung der AR-Mitglieder

 

Mitgliederzahl

Zusammensetzung

Mitbestimmungsfreie AG vgl. § 76 Abs. 6 BetrVG (< 500 AN; Tendenzunternehmen)

§ 95 AktG: mind. 3 – nach Grundkapital abgestufte Höchstzahl

nur Vertreter der Anteilseigner

AG außerhalb Montanmitbestimmung mit 500 – 2000 AN

Ebenso; Mitgliederzahl muss aber durch drei teilbar sein

ein Drittel Vertreter der AN – zwei Drittel Vertreter der Anteilseigner (§ 76 Abs. 2 BetrVG)

AG mit mehr als 2000 AN

§ 7 Abs. 1 MitbestG: 12, 16 oder 20 Mitglieder je nach der Anzahl der AN

je zur Hälfte Vertreter der AN und der Anteilseigner – weitere Zusammensetzungsvorschriften in § 7 Abs. 2 MitbestG

AG nach § 1 Montan-Mitbestimmungsgesetz

§ 4 Abs. 1 Montan-MitbestG:

11 Mitglieder

vier Vertreter der Anteilseigner; vier Vertreter der AN; drei weitere Vertreter (Vertreter des öffentl. Interesses)

AG nach Mitbestimmungsergänzungsgesetz

§ 5 Abs. 1 MitbestErgG: 15 (oder 21) Mitglieder

dem AR müssen 5 AN und 2 Vertreter der Gewerkschaft angehören (bzw. bei 21 Mitglieder 7 und 3) - § 6 Abs. 1 MitbestErgG)

  • zur Bestellung der AR-Mitglieder vgl. § 101 Abs. 1 AktG; beachte zudem die strikte Inkompatibilitätsregel des § 105 Abs. 1 AktG (diese wird allerdings eingeschränkt durch § 6 Abs. 2 MitbestG)
  • die Wahl der Arbeitsnehmer-Vertreter wird durch diverse spezielle Vorschriften geregelt (vgl. insb. §§ 7 Abs. 3, 15 Abs. 2, 24 MitbestG)
  • für bis zu ein Drittel der Sitze der Anteilseignerseite können den Inhabern bestimmter Aktien Entsendungsrechte eingeräumt werden (§ 101 Abs. 2 AktG) ® hat praktische Bedeutung insb. bei gemischtwirtschaftlichen Unternehmen für die Beteiligung der öffentlichen Hand
  • zur vorzeitigen Abberufung von AR-Mitgliedern durch die Hauptversammlung vgl. insb. § 103 Abs. 1 und 2 AktG: kein besonderer Grund erforderlich, aber ein qualifizierte Mehrheit

2. Aufgaben des Aufsichtsrates

  • Überwachung der Geschäftsführung durch rückblickende und vorbeugende Kontrolle (§ 111 Abs. 1 AktG)
  • wird abgesichert durch ® Berichtspflichten des Vorstands; insb. § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG
  • zudem Zustimmungsvorbehalte gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG

BGHZ 124, 111, 127:

"... Ein derartiger Zustimmungsvorbehalt kann auch ad hoc beschlossen werden ... Ob der Aufsichtsrat von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, unterliegt grundsätzlich seinem pflichtgemäßen Ermessen. Sein Ermessen kann sich jedoch zu einer Pflicht verdichten, wenn er eine gesetzwidrige Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes nur noch durch Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts verhindern kann ..."

  • Aufsichtsrat hat auch einige eigene Geschäftsführungsbefugnisse, z.B. § 77 Abs. 2 (Geschäftsordnung für Vorstand), § 78 Abs. 3 (Regelung der Vertretung durch den Vorstand), § 111 Abs. 2 Satz 3 (Erteilung des Prüfungsauftrages an die Abschlussprüfer), § 112 (Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstand)
  • zur Mitwirkung an der Feststellung des Jahresabschlusses siehe §§ 170 – 172 AktG
  • zu den Kompetenzen für Personalangelegenheiten vgl. insb. §§ 84, 87 AktG

3. Arbeitsweise des Aufsichtsrats

  • Vorsitzender des Aufsichtsrats: wird generell mit einfacher Mehrheit gewählt (§ 107 Abs. 1 AktG) ® bei unternehmerischer Mitbestimmung jedoch Sonderregelung in § 27 MitbestG
  • Position des AR-Vorsitzenden hat besondere Bedeutung für die Abstimmung in mitbestimmten Aktiengesellschaften (in der zweiten Abstimmungsrunde hat der Vorsitzende bei Stimmengleichheit eine zweite Stimme - § 29 Abs. 2 MitbestG)
  • zudem hat AR-Vorsitzender Schlüsselposition inne im Verhältnis zwischen dem Vorstand und dem (Gesamt-)Aufsichtsrat; vgl. hier auch den Deutschen Corporate Governance Kodex Ziffer 5.2
  • regelmäßig bildet der Aufsichtsrat aus seiner Mitte mehrere Ausschüsse (vgl. § 107 Abs. 3 AktG), z.B. Bilanz-, Finanz-, Personal-, Investitions- und Prüfungsausschüsse

 

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