Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

§ 2 Eigenkapitalersatzrecht

I. Einführung

  • beim Eigenkapitalersatzrecht geht es an sich um eine Rechtsform-übergreifende Problematik, die sich insbesondere auch bei der AG und bei der GmbH&Co. KG stellt (vgl. nur § 172a HGB) ® größte praktische Bedeutung liegt aber bei GmbH

II. Eigenkapital- und Fremdkapital

  • Eigenkapital – rührt grundsätzlich von den Gesellschaftern her, ist gebundenes Kapital und haftendes Kapital ® hierzu gehören vor allem: Stammkapital, Rücklagen, Gewinnvortrag, stille Reserven
  • Fremdkapital – stammt häufig von Dritten, ist nicht dauerhaft gebunden (§ 490 Abs. 1 BGB), ist auch kein haftendes Kapital ® insb. Kredite, auch Warenkredite
  • Selbst- und Fremdfinanzierung sind Finanzierungsmethoden (dürfen nicht mit der Unterscheidung von Eigen- und Fremdkapital verwechselt werden!)
  • es existieren keine sanktionsfähigen Rechtsgrundsätze für eine ordnungsgemäße Eigenkapitalausstattung ® (auch) deshalb hat der sog. Durchgriff wegen materieller Unterkapitalisierung bislang im deutschen Gesellschaftsrecht keine praktische Bedeutung erlangt è aber: zumindest teilweise wird ein solcher Durchgriff funktional vom Recht der eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen ersetzt

III. Gesellschafterdarlehen

1. Stellung des rechtswissenschaftlichen Schrifttums

  • für die ganz h.M. des rechtswissenschaftlichen Schrifttums stehen die Grundzüge des Eigenkapitalersatzrechts weitgehend außer Streit; von einzelnen Autoren wird allerdings auch Fundamentalkritik geübt ("Eigenkapitalersatzrecht als Standortnachteil")

2. Zur Notwendigkeit eines flexiblen Finanzierungsinstruments

  • der (Eigen-)Kapitalbedarf von Unternehmen entwickelt sich nicht gleichförmig
  • eine Finanzierung allein über Stammeinlagen erweist sich häufig als zu unflexibel und aufwendig; zudem trifft der Eigenkapitalbedarf der Gesellschaft nicht immer auf eine Finanzierungsfähigkeit und –bereitschaft bei sämtlichen Gesellschaftern

3. Nachschussregelung bei GmbH

  • die Vorschriften des deutschen GmbH-Rechts über Nachschüsse der Gesellschafter (§§ 26 – 28 GmbHG) sind vom historischen Gesetzgeber getroffen worden, um ein flexibles Finanzierungsinstrument zu schaffen ® doch konnten diese Regelungen zu keiner Zeit praktische Bedeutung erlangen ® wohl, weil sich die zukünftige Entwicklung des Kapitalbedarfs bei der Gründung einer GmbH nicht sicher abschätzen lässt und § 26 Abs. 2 zudem eine proportionale Nachschusspflicht aller Gesellschafter vorsieht

4. Gesellschafterdarlehen als Ausweg

  • Fallbeispiele aus der Praxis machen große Bedeutung der Gesellschafterdarlehen als Finanzierungsinstrument deutlich ® außerdem offenbart sich, dass die formell als Fremdkapital gewährten Darlehen funktional Eigenkapital ersetzen

III. Die Rechtsprechungs-Regeln (BGH-Regeln)

1. Finanzierungsfolgenverantwortung

  • Die Finanzierungsfolgenverantwortung verpflichtet die Gesellschafter zwar nicht, der Gesellschaft in einer Krise – über die Einlage hinaus – weitere Mittel zur Verfügung zu stellen; entschließen sich die Gesellschafter aber zur Unterstützung der Gesellschaft, so müssen sie dieser Eigenkapital (und kein Fremdkapital) zur Verfügung stellen.

2. Tatbestand

  • Grundtatbestand: Gesellschafter vergibt Darlehen an kreditunwürdige Gesellschaft

Kreditunwürdigkeit:

Wenn ein außenstehender – wirtschaftlich vernünftig handelnder – Dritter der GmbH das konkrete Darlehen in Kenntnis der kreditrelevanten Umstände überhaupt nicht oder aber bloß zu marktüblichen Bedingungen gewährt hätte.

  • Erweiterung des Tatbestandes (hat in der Praxis größere Bedeutung als der Grundtatbestand): "stehen gelassene Gesellschafterdarlehen" ® sind der Gesellschaft vor der Krise gewährt und bei Krisenausbruch nicht abgezogen worden
  • es muss den Gesellschaftern möglich gewesen sein, die Krise zu erkennen und ihre Mittel abzuziehen; bei fehlender Abzugsfähigkeit Liquidation der Gesellschaft erforderlich

3. Rechtsfolgen – analoge Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG

  • mit § 30 Abs. 1 GmbHG analog lässt sich ein Bindung der Gesellschafterdarlehen nur insoweit begründen, wie diese Darlehen verlorengegangenes Stammkapital ersetzen (also eine sog. Unterbilanz abdecken)
  • § 31 Abs. 1 GmbHG analog: wird ein (nach § 30 Abs. 1 analog) gebundenes Darlehen dennoch zurückgezahlt, so hat die Gesellschaft einen sofort fälligen Rückerstattungsanspruch ® die Geschäftsführer sind nach § 43 Abs. 1 GmbHG verpflichtet, diesen Anspruch auch geltend zu machen
  • das vom BGH herausgearbeitete Schutzkonzept schützt also die Gesellschaft schon vor den Eintritt in die Insolvenz ® sog. gesellschaftsrechtliches Schutzkonzept

IV. Gesetzgebungs-Regeln (Novellen-Regeln)

1. Insolvenzrechtliches Schutzkonzept

  • Ende der 70er Jahre hatte der BGH das Eigenkapitalersatzrecht bereits zu einem relativ geschlossenen System fortentwickelt ® Gesetzgeber der GmbH-Novelle wollte die Problematik dennoch gesetzlich regelt ® griff hierfür auf die entsprechenden Regelungen des GmbH-Entwurfes von 1939 zurück, ohne zu beachten, dass diesen Vorschriften ein abweichendes Schutzkonzept zugrunde lag
  • die §§ 32a, b GmbHG knüpfen am gleichen Tatbestand wie die Rechtsprechungs-Regeln an, greifen aber lediglich im Insolvenzfall ein ® sog. insolvenzrechtliches Schutzkonzept

2. Rechtsfolgen

  • vor der Eröffnung der Insolvenz: freie Rückzahlung der Darlehen möglich
  • in der Insolvenz: der Gesellschafter ist nur nachrangiger Insolvenzgläubiger (§ 32a Abs. 1 GmbHG); kann auch nicht mit seinem Rückzahlungsanspruch aufrechnen
  • nach § 135 InsO kann der Insolvenzverwalter die Rückzahlung des gesamten Darlehens anfechten (aber nur binnen Jahresfrist); zudem Anfechtungsrecht nach § 6 AnfG

3. Zusammenspiel von Rechtsprechungs- und Gesetzgebungsregeln: Zweistufiges Schutzsystem

BGHZ 90, 370:

"b) Die Rechtsprechungsgrundsätze über kapitalersetzende Gesellschafterdarlehen sind neben den Vorschriften der GmbH-Novelle von 1980 weiterhin auch auf solche Darlehen anzuwenden, die nach dem 1. Januar 1981 gewährt worden sind."

  • Merkformel: in Höhe der Unterbilanz sind die Gesellschafterdarlehen von den (strengeren) Rechtsprechungsregeln erfasst; darüber hinaus nur von den Gesetzgebungsregeln

V. Die eigenkapitalersetzende Gebrauchsüberlassung

1. Anwendung der Regeln über eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen auf Gebrauchsüberlassungen?

  • recht häufig unterstützen Gesellschafter ihre GmbH nicht durch eine Gewährung von Krediten, sondern indem sie der Gesellschaft wichtige Betriebseinrichtungen oder Grundstücke verpachten ® in vielen Fällen können die Gesellschaften überhaupt nur durch diese Gesellschafter-Leistungen ihren Geschäftsbetrieb durchführen (insb. sog. "Betriebsaufspaltungen")
  • einen Anknüpfungspunkt für die Erfassung dieser Fälle durch die Regeln des Eigenkapitalersatzrechts bietet § 32a Abs. 3 GmbHG: Gebrauchsüberlassungen als wirtschaftlich vergleichbare Leistung
  • insbesondere ® Zuführung einer Finanzhilfe des Gesellschafters, die es der Gesellschaft erlaubt, in der Krise den Geschäftsbetrieb fortzusetzen; vgl. BGHZ 109, 55, 58 ("Lagergrundstück I"); 127, 1, 9 (Lagergrundstück III") ® aber Folgeproblem: Was ist hier Gegenstand der eigenkapitalersetzenden Leistung: der genutzte Gegenstand selbst, das Nutzungsrecht, die Nutzungsmöglichkeit, das ersparte Nutzungsentgelt? Ausführlich hierzu ® BGHZ 127, 1, 9 f.: das Nutzungsrecht

2. Erforderliche Modifikationen des Tatbestandes

    • zum einen Umqualifizierung bei Insolvenzreife bzw. Überschuldung (BGHZ 127, 1, 5 f.)
    • daneben wird der Tatbestand durch zwei Merkmale bestimmt, die kumulativ vorliegen müssen (vgl. BGHZ 121, 31, 38 f. "Lagergrundstück"):

  1. Die Gesellschaft kann sich nicht den Kredit beschaffen, um das zur Nutzung überlassene Wirtschaftsgut zu kaufen (sog. spezielle Kreditunwürdigkeit)
  2. Ein außenstehender Dritter wäre nicht bereit gewesen, der Gesellschaft das Wirtschaftsgut mietweise zu überlassen (sog. Überlassungsunwürdigkeit): Hier wird zudem zwischen Standard- und speziellen Wirtschaftsgütern unterschieden.

    • "Stehenlassen" ® bei Gebrauchsüberlassungen tritt häufig das (zusätzliche) Problem auf, dass die Überlassung auf der Grundlage sehr langfristiger Verträge erfolgt ist, welche einen kurzfristigen Abzug der Mittel verhindern. Der Gesellschafter muss dann die Möglichkeit nicht genutzt haben, die Gesellschaft bei Eintritt der Krise zu liquidieren (BGHZ 121, 31, 35 "Lagergrundstück II")
    • bei Betriebsaufspaltungen ist die Besitz-GmbH, also der Verpächter der Betriebseinrichtung, oft nicht Gesellschafter der Betriebs-GmbH ® stimmt jedoch der Gesellschafterkreis beider GmbH überein, so geht der BGH von einer "wirtschaftlichen Einheit" aus

3. Rechtsfolgen

  • das vereinbarte Nutzungsentgelt ® untersteht voll den Rechtsfolgen der §§ 30, 31 (analog), § 32a Abs. 1 GmbHG (vgl. BGHZ 131, 31 42 f.; 127, 1, 7; 127, 17, 21) ® soweit es "stehen gelassen" wurde, bleibt es also im Insolvenzverfahren unberücksichtigt; soweit es gezahlt wurde, kann die Zahlung nach § 135 InsO angefochten werden; soweit durch die Zahlung die Stammkapitalziffer verletzt worden ist, entsteht auch ein Rückerstattungsanspruch nach § 31 Abs. 1 GmbHG analog
  • "automatischer" Übergang der dinglichen Zuordnung? ® wird von der ganz h.M. abgelehnt: Wäre entgegen § 53 Abs. 3 GmbHG Zuführungspflicht und zudem häufig überzogene Rechtsfolge (z.B. Nutzung eines Grundstücks durch kleine Gesellschaft).
  • Verweigerung des Aussonderungsrechts in der Insolvenz bzw. Verpflichtung des Gesellschafters auf das Eigentum zu verzichten ® von BGHZ 121, 31, 45 noch offengelassen; von BGHZ 127, 1, 8 dann abgelehnt: Wäre auch Zuführungspflicht.

  • Leistung des Wertes in die Insolvenzmasse ® diese auf eine Analogie zu § 32b GmbHG gestützte Lösung hatte viele Anhänger im Schrifttum; ist von BGHZ 127, 1, 13; 127, 17, 23 f., 27 f. jedoch abgelehnt worden
  • Insolvenzverwalter kann das Nutzungsrecht weiter entgeltlos ausüben oder auf Dritte übertragen (Zwangsüberlassung) ® für diese Lösung BGHZ 127, 1, 10 ff.: Nur das Nutzungsrecht ist Gegenstand der eigenkapitalersetzenden Leistung gewesen und kann demzufolge auch lediglich in die Masse fallen. Folgefrage: Für wie lange ® dauernd, bis zur Befriedigung aller Gläubiger, für die vertragliche Laufzeit? Grundsätzlich kommt es auf die vertraglich vereinbarte Laufzeit an, aber nur wenn diese "ernstlich" gemeint ist. Ansonsten Korrektur: Auf welche Laufzeit hätte ein Vermieter bestehen müssen?
  • Verpflichtung des Gesellschafters den kapitalisierten Wert des Nutzungsrechts in die Masse zu leisten ® vom Schrifttum vorgeschlagen, um eine Verlängerung der Insolvenzverfahren zu verhindern ® hätte aber das Verwertungsrisiko auf den Gesellschafter verlagert; von BGHZ 127, 17, 29 aber abgelehnt. Demzufolge tragen die Gesellschaft und ihre Gläubiger das Verwertungsrisiko (so ausdrücklich BGHZ 127, 1, 14); der Gesellschafter nur, wenn er dem Insolvenzverwalter eigenmächtig das Nutzungsrecht entzieht!
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