§ 1 GmbH - Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung
I. Anspruch und Realität des Kapitalaufbringungs-
und –erhaltungssystems
1.Grundzüge des Gesamtmodells
- während bei der OHG die Gesellschafter persönlich für
die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften, können die Gläubiger
einer GmbH grundsätzlich nur auf das Gesellschaftsvermögen
zurückgreifen (§ 13 Abs. 2 GmbHG) Ü
um sicher zu stellen, dass überhaupt ein Gesellschaftsvermögen
vorhanden ist, schreibt das Gesetz ein Mindeststammkapital in Höhe
von 25.000 Euro vor (§ 5 Abs. 1 GmbHG)
- die Regeln der Kapitalaufbringung sollen dafür sorgen,
dass das – zunächst nur auf dem Papier stehende – Gesellschaftsvermögen
auch tatsächlich aufgebracht wird
- die Bestimmungen für die Kapitalerhaltung sollen sicher
stellen, dass die Gesellschafter bzw. die Geschäftsführer
in späteren Phasen das Gesellschaftsvermögen (soweit dies
für die Befriedigung der Gläubiger benötigt wird) nicht
gezielt vermindern
- kein Gesetzgeber kann verhindern, dass bei der unternehmerischen Tätigkeit
der Gesellschaft Verluste "erwirtschaftet" werden, aber auch hierfür
gibt es bestimmte gesetzliche Schutz- und Warnmechanismen:
- § 49 Abs. 3 GmbHG – ist die Hälfte des Kapitals verloren,
sollen die Gesellschafter hierüber beraten
- § 64 Abs. 1 GmbHG – Insolvenzantragspflicht
- § 325 HGB – Offenlegungspflicht Ü
Publizität als "zweite Säule", auf der die Haftungsbegrenzung
ruht
2. Aus der Insolvenzstatistik für 1998
- GmbH-Insolvenzen: 11.454 (Unternehmensinsolvenzen insgesamt: 19.189)
- Eröffnete Verfahren bei GmbH 3.802 (= 33,2 %); Eröffnungsquote
bei AG 56,1 %, bei Personengesellschaften 56,7 % (darunter GmbH &
Co. KG 58,1 %)
- Hauptursachen für hohe Zahl masseloser GmbH-Insolvenzen:
- das statutarische Stammkapital als "Haftungspuffer" ist häufig
zu gering bemessen
- § 30 Abs. 1 GmbHG schützt das Gesellschaftsvermögen nur
in Höhe des Stamm-kapitals vor Eingriffen der Gesellschafter
- die für die Insolvenzantragspflicht (§ 64 Abs. 1 GmbHG) entscheidende
Überschul-dungsbilanz ist bei positiver Fortführungsprognose
auf der Grundlage von Fortfüh-rungswerten aufzustellen (in der
Insolvenz können aber nur Zerschlagungswerte realisiert werden)
II. Kapitalaufbringung
- es gilt der Grundsatz der realen Kapitalaufbringung; § 19 Abs. 2 –
5 GmbHG als Kern der gesetzlichen Kapitalaufbringungsregeln
1. Bareinlagen
- sind durch Zahlung aus dem Vermögen des Gesellschafters zu erbringen
(dürfen also insb. nicht durch die Gesellschaft finanziert werden!)
- müssen endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer
stehen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 GmbHG), vgl. insb.:
BGHZ 113, 335:
"2. An einer Leistung der geschuldeten Bareinlage
zur endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführer
fehlt es nicht nur bei Scheinzahlungen, sondern u.a. auch dann,
wenn der Einleger der GmbH das einzulegende (Bar- oder Buch-)Geld
absprachegemäß nur vorübergehend mit der Maßgabe
zur Verfügung stellt, es ihm umgehend zur Befriedigung seiner
gegen die Gesellschaft gerichteten Forderung zurückzuzahlen.
..."
|
- § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG – Aufrechnung durch den Gesellschafter ist
unzulässig
- zwingende Verzinsungspflicht gemäß § 20 GmbHG
- System der §§ 21 – 24 GmbHG hat zur Folge, dass jeder Gründer
einer GmbH das Risiko trägt, eventuell das gesamte statutarische
Stammkapital allein aufbringen zu müssen
- BGHZ 105, 300 – freiwillige Mehrzahlungen auf die Stammeinlage vor
Eintragung befreien den Gesellschafter von seiner Einlageschuld Ü
eventuell droht aber Unterbilanzhaftung
Aktuelle Rechtsprechung des BGH zu diesem Problemkreis:
BGH, Urteil v. 17.9.2001, II ZR 275/99, BB 2001,
2282:
- "Die Hin- und Herüberweisung des Einlagebetrages binnen
weniger Tage tilgt die Einlageschuld nicht, weil in einem solchen
Falle nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Leistung zur
endgültig freien Verfügung der Geschäftsführung
gestanden hat. ..."
|
BGHZ 150, : Urteil v. 18.3.2002,
II ZR 363/00, ZIP 2002, 799
- "Die Leistung einer Bareinlage aus einer Kapitalerhöhung,
durch die der Debetsaldo eines Bankkontos zurückgeführt
wird, kann auch dann zur freien Verfügung erfolgt sein, wenn
das Kreditinstitut der Gesellschaft mit Rücksicht auf die
Kapitalerhöhung auf einem anderen Konto einen Kredit zur
Verfügung stellt, der den Einlagebetrag erreicht oder übersteigt.
- Bei einer Kapitalerhöhung ist die Bareinlage schon dann
zur (endgültig) freien Verfügung der Geschäftsführung
geleistet worden, wenn sie nach dem Kapitalerhöhungsbeschluss
in ihren uneingeschränkten Verfügungsbereich gelangt
ist und nicht an den Einleger zurückfließt (Aufgabe
von BGHZ 119, 177 – Leitsätze 1 + 2). ..."
|
BGH, Urteil v. 2.12.2002, II ZR 101/02, ZIP
2003, 211:
- "Eine für die Erfüllung der Einlageschuld (§ 19 Abs.
1 GmbHG) erforderliche Leistung zu freier Verfügung der Geschäftsführung
liegt nicht vor, wenn der eingezahlte Einlagebetrag absprachegemäß
umgehend als Darlehen an den Inferenten oder an ein mit ihm verbundenes
Unternehmen zurückfließt. ..."
|
BGH, Beschluß v. 9.12.2002, II ZB 12/02,
ZIP 2003, 251:
- "Die Verwendung des Mantels einer "auf Vorrat" gegründeten
Gesellschaft mit beschränkter Haftung stellt wirtschaftlich
eine Neugründung dar.
- Auf diese wirtschaftliche Neugründung durch Ausstattung
der Vorratsgesellschaft mit einem Unternehmen und erstmalige Aufnahme
ihres Geschäftsbetriebes sind die der Gewährleistung
der Kapitalausstattung dienenden Gründungsvorschriften des
GmbHG einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle
entsprechend anzuwenden. ..."
|
2. Sacheinlagen
- müssen im Gesellschaftsvertrag festgesetzt worden sein (§ 5 Abs.
4 Satz 1 GmbHG) Ü sonst
Bareinlagepflicht (§ 19 Abs. 5 GmbHG)
- Sachgründungsbericht der Gesellschafter (§ 5 Abs. 4 Satz 2 GmbHG)
- müssen vor Anmeldung endgültig zur freien Verfügung
des Geschäftsführers stehen (§ 7 Abs. 3 GmbHG)
- bei fehlender Werthaltigkeit Ü
Differenzhaftung nach § 9 Abs. 1 GmbHG (Haftung kann größer
sein als vereinbarter Einlagebetrag)
3. Die verschleierte (verdeckte) Sacheinlage und ihre
Heilung
Verschleierte Sacheinlage: Eine Bareinlage
und ein Verkehrsgeschäfts werden so eng miteinander verkoppelt
(in zeitlicher und sachlicher Hinsicht), dass der Gesamtvorgang
Sacheinlagecharakter erhält. Ist Umgehung der gesetzlichen
Vorschriften für Sacheinlagen.
|
- genauere Bestimmung der Tatbestandsvoraussetzungen
für die Fallgruppe der Forderungs-Verrechnungen in:
BGH, Urteil v. 16.9.2002, II ZR 1/00, ZIP 2002,
2045, insb. 2047
- die Verrechnung der Bareinlageforderung der GmbH mit (liquiden,
fälligen und vollwertigen) Forderungen des Gesellschafters
ist unter dem Gesichtspunkt der verdeckten Sacheinlage grundsätzlich
nur dann unzulässig, wenn die Forderung des Gesellschafters
bereits zur Zeit der Begründung der Einlagepflicht entstanden
war (und daher als Sacheinlage hätte eingebracht werden können)
- handelt es sich dagegen um eine Forderung, die erst später
entstanden ist, so ist eine Verrechnung nur dann unzulässig,
wenn diese Vorgehensweise bereits vor oder bei der Begründung
der Einlagepflicht abgesprochen worden ist
|
- Rechtsfolgen: der schuldrechtliche Teil des Umgehungsgeschäfts
ist nichtig; die dingliche Einlageleistung ist gleichwohl wirksam; der
Gesellschafter muss (Bar-)Einlage erneut erbringen (auch wenn Sacheinlage
voll werthaltig gewesen ist) und hat lediglich einen Anspruch aus §§
812, 818 BGB auf Rückgewähr der noch vorhandenen Sacheinlage
Ü hilft dem Gesellschafter
wenig, wenn die GmbH unterdessen insolvent ist
- speziell: Kapitalerhöhung nach "Schütt-aus-Hol-zurück"-Verfahren:
BGHZ 113, 335:
1. Bei der GmbH ist eine Kapitalerhöhung im
Wege des "Ausschüttungs-Rückhol-Verfahrens" nur unter
Beachtung der Sacheinlagevorschriften möglich.
|
BGHZ 135, 381:
"Wird gegenüber dem Registergericht offengelegt,
daß eine Kapitalerhöhung im "Schütt aus – Hol zurück"
– Verfahren durchgeführt werden soll, sind die Voraussetzungen
ihrer Eintragung an der für die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln
geltenden Regelung auszurichten. Die Grundsätze der verdeckten
Sacheinlage finden in diesem Falle keine Anwendung (Ergänzung
zu BGHZ 113, 335)."
|
- BGHZ 132, 141 ermöglicht die Heilung einer verdeckten Sacheinlage:
erforderlich ist ein mit satzungsändernder Mehrheit gefaßter
Gesellschafterbeschluß, der Gesetzesumgehung offen legt und die
an sich erforderlichen Maßnahmen nachholt
III. Kapitalerhaltung
1. Kapitalbindung bei der GmbH
- anders als § 57 AktG schützt § 30 Abs. 1 GmbHG das Gesellschaftsvermögen
lediglich insoweit, wie dies zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlich
ist Ü d.h. "oberhalb
der Stammkapitalziffer" können die Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen
eingreifen; erforderlich ist aber ein (konkludenter) Beschluss der Gesellschafter
(d.h. Maßnahme fällt nicht in die Kompetenz der Geschäftsführung)
- untersagt sind nicht nur "Auszahlungen", sondern sämtliche Vermögensverschiebungen
von der Gesellschaft zugunsten der Gesellschafter
2. Der Rückerstattungsanspruch des § 31 GmbHG
- ist besonderer gesellschaftsrechtlicher Rückgewähranspruch
(Norm wie § 818 Abs. 3 BGB fehlt hier)
- zum Verhältnis zum Bereicherungsrecht:
BGHZ 136, 125 ("Stahltransport"):
"Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das
Kapitalerhaltungsgebot des § 30 GmbHG bestimmen sich auch dann ausschließlich
nach § 31 GmbHG, wenn es den Beteiligten auf die Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften
ankommt; für die Anwendung der §§ 134, 812 ff. BGB ist daneben
kein Raum ...".
|
- Mitgesellschafter haften nach § 31 Abs. 3 GmbHG Ü
Haftung ist aber auf Betrag der Stammkapitalziffer beschränkt (so
jetzt ausdrücklich BGHZ 150, 1)
- GmbH kann Haftung nicht erlassen (§ 31 Abs. 4 GmbHG); außerdem
kann der Gesellschafter gegen einen Rückerstattungsanspruch der
Gesellschaft aus § 31 Abs. 1 GmbHG gemäß § 19 Abs. 2 Satz
2 GmbHG analog nicht aufrechnen (so BGHZ 146, 105)
- Zum Schicksal des Erstattungsanspruchs nach der (anderweitigen) Wiederauffüllung
des Stammkapitals (Frage ist für die Praxis höchst bedeutsam):
BGHZ 144, 336 ("Balsam/Procedo
I"):
- "Ein einmal wegen Verstoßes gegen § 30 Abs. 1 GmbHG entstandener
Erstattungsanspruch nach § 31 Abs. 1 GmbHG entfällt daher
nicht von Gesetzes wegen, wenn das Gesellschaftskapital zwischenzeitlich
anderweit bis zu Höhe der Stammkapitalziffer nachhaltig wiederhergestellt
ist ..."
|
- beachte: Gesellschafterhaftung nach § 31 GmbHG wird flankiert
durch Haftung der Geschäftsführer: gegenüber Gesellschaft
(§ 43 Abs. 3 GmbHG) und gegenüber Gesellschaftern (§ 31 Abs. 6
GmbHG)
3. (Weitergehender) Schutz der GmbH gegen bestandsvernichtende
Eingriffe
- Rechtsprechung der Strafsenate des BGH (vgl. BGHSt 34, 379; 35,
333):
Willkürliche Verschiebungen des Vermögens
einer GmbH sind auch bei Zustimmung sämtlicher Gesellschafter
und unabhängig von einer Verletzung des statutarischen Stammkapitals
in der Regel mißbräuchlich i.S. von § 266 StGB (Voraussetzung:
buchmäßige Verschleierungen, Mißbrauch der Gesellschafterstellung,
Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der GmbH)
BGHZ 149, 10 ("Bremer Vulkan"):
- "Der Schutz einer abhängigen GmbH gegen Eingriffe ihres
Alleingesellschafters folgt nicht dem Haftungssystem des Konzernrechts
des Aktienrechts (§§ 291 ff., 311 ff. AktG), sondern ist auf die
Erhaltung ihres Stammkapitals und die Gewährleistung ihres
Bestandsschutzes beschränkt, der eine angemessene Rücksichtnahme
auf die Eigenbelange der GmbH erfordert. An einer solchen Rücksichtnahme
fehlt es, wenn die GmbH infolge der Eingriffe ihres Alleingesellschafters
ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann. ..."
|
BGHZ 150, 1:
- "Die Ausfallhaftung aus dem Gesichtspunkt des existenzvernichtenden
Eingriffs ... trifft auch diejenigen Mitgesellschafter, die, ohne
selber etwas zu empfangen zu haben, durch ihr Einverständnis
mit dem Vermögensabzug an der Existenzvernichtung der Gesellschaft
mitgewirkt haben. ..."
|
BGHZ 151, 181 ("KBV"):
- Die Respektierung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens
zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während
der Lebensdauer der GmbH ist unabdingbare Voraussetzung für
die Inanspruchnahme des Haftungsprivilegs des § 13 Abs. 2 GmbHG.
Zugriffe der Gesellschafter auf das Gesellschaftsvermögen,
welche die aufgrund dieser Zweckbindung gebotene angemessene Rücksichtnahme
auf die Erhaltung der Fähigkeit der Gesellschaft zur Bedienung
ihrer Verbindlichkeiten in einem ins Gewicht fallenden Maße
vermissen lassen, stellen deshalb einen Missbrauch der Rechtsform
der GmbH dar, der zum Verlust des Haftungsprivilegs führt,
soweit nicht der der GmbH durch den Eingriff insgesamt zugefügte
Nachteil bereits nach §§ 30, 31 GmbHG ausgeglichen werden kann.
- Bei Vorliegen der unter 1. genannten Voraussetzungen sind die
Gesellschaftsgläubiger deshalb außerhalb des Insolvenzverfahrens
grundsätzlich berechtigt, ihre Forderungen unmittelbar gegen
die an den Eingriffen in das Gesellschaftsvermögen mitwirkenden
Gesellschafter geltend zu machen, soweit sie von der Gesellschaft
keine Befriedigung erlangen können (Ergänzung zu BGHZ
149, 10 – Bremer Vulkan sowie BGHZ 150, 1)
|
|