§ 9 Eintritt und Ausscheiden von Gesellschaftern
Fall 11: A und B sind Gesellschafter der
"A & B Baustoffhandel OHG". Im November 2002 vereinbaren beide
mit C dessen Aufnahme in die Gesellschaft. Bereits kurze Zeit später
muss C feststellen, dass ihm A und B den schlechten wirtschaftlichen
Zustand des Unternehmens bewusst verschwiegen haben. C ficht daher
seinen Beitritt an; schließlich einigen sich alle drei darauf,
die Aufnahme des C als ungeschehen zu betrachten. Einige Wochen
später wird C von dem D wegen einer im März 2002 begründeten
Verbindlichkeit der OHG in Anspruch genommen.
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I. Eintritt
1. Aufnahme eines neuen Gesellschafters als Grundlagengeschäft
- für die Aufnahme eines neuen Gesellschafters in die OHG enthält
das Gesetz keine Regelung, doch machen die §§ 107, 130 HGB deutlich,
dass schon der historische Gesetzgeber den "Eintritt" eines neuen Gesellschafters
für möglich hielt
- erforderlich ist der Abschluss eines Aufnahmevertrages zwischen sämtlichen
alten und dem neuen Gesellschafter ®
die Aufnahme eines neuen Gesellschafters ist also nicht mehr von der
Vertretungsmacht der OHG-Vertreter gemäß §§ 125, 126 HGB
abgedeckt (sog. Grundlagengeschäft) ®
möglich ist aber eine besondere Bevollmächtigung
- grundsätzlich wird der Eintritt eines neuen Gesellschafters sofort
wirksam ® d.h. zur Begründung der
Gesellschafter-Stellung ist weder die Eintragung ins Handelsregister
noch die Fortsetzung der Gesellschaftsgeschäfte erforderlich; die
Regeln des § 123 HGB sind also nicht entsprechend anwendbar (umstritten!)
® vereinbart werden kann allerdings ein
aufschiebend bedingter oder befristeter Beitritt zur Gesellschaft
- der Eintritt eines neuen Gesellschafters lässt die Identität
der Gesellschaft grundsätzlich unberührt (ebenso beim Austritt)
2. Abwachsung
- nach § 738 Abs. 1 S. 1 BGB wächst beim Ausscheiden eines Gesellschafters
aus einer (Gesamthands-) Gesellschaft der Gesellschaftsanteil des Ausscheidenden
den verbleiben-den Gesellschaftern zu ("Anwachsung") ®
bei Eintritt eines neuen Gesellschafters "Abwachsung" als dogmatisch-konstruktives
Gegenstück
3. Haftung des eintretenden Gesellschafters
- wer in eine OHG eintritt, haftet gemäss §§ 130, 128 HGB für
sämtliche Altverbind-lichkeiten und zwar nach h.M. selbst im Falle
eines fehlerhaften Beitritts ® wegen
§ 128 Abs. 2 HGB können die Gesellschafter keine – auch im Außenverhältnis
wirksame – abweichende Regelung treffen
- wichtig ist die Abgrenzung zu § 28 HGB, weil in dessen Anwendungsbereich
unter bestimmten Voraussetzungen abweichende Vereinbarungen auch Dritten
entgegengehal-ten werden können (vgl. § 28 Abs. 2 HGB)
II. Ausscheiden eines Gesellschafters
1. Tatbestände
§ 131 HGB n.F. (seit 1998)
(1) Die offene Handelsgesellschaft
wird aufgelöst:
- durch den Ablauf der Zeit, für welche sie
eingegangen ist;
- durch Beschluss der Gesellschafter;
- durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über das Vermögen der Gesellschaft;
- durch gerichtliche Entscheidung.
(2) ....
(3) Folgende Gründe führen
mangels abweichender vertraglicher Bestimmung zum Ausscheiden
eines Gesellschafters:
- Tod des Gesellschafters,
- Eröffnung des Insolvenzverfahrens über
das Vermögen des Gesellschafters,
- Kündigung des Gesellschafters,
- Kündigung durch den Privatgläubiger
des Gesellschafters,
- Eintritt von weiteren im Gesellschaftsvertrag
vorgesehenen Fällen,
- Beschluß der Gesellschafter.
Der Gesellschafter scheidet mit
dem Eintritt des ihn betreffenden Ereignisses aus, im Falle der
Kündigung aber nicht vor Ablauf der Kündigungsfrist.
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§ 131 HGB a.F. (bis 1998)
Die offene Handelsgesellschaft wird
aufgelöst:
- durch den Ablauf der Zeit, für welche sie
eingegangen ist;
- durch Beschluss der Gesellschafter;
- durch die Eröffnung des Konkurses über
das Vermögen der Gesellschaft;
- durch den Tod eines Gesellschafters, sofern nicht
aus dem Gesellschaftsvertrage sich ein anderes ergibt;
- durch die Eröffnung des Konkurses über
das Vermögen eines Gesellschafters;
- durch Kündigung und durch gerichtliche Entscheidung.
§ 138 HGB a.F. (bis 1998)
Ist im Gesellschaftsvertrage bestimmt,
dass, wenn ein Gesellschafter kündigt oder stirbt oder wenn
der Konkurs über sein Vermögen eröffnet wird, die
Gesellschaft unter den übrigen Gesellschaftern fortbestehen
soll, so scheidet mit dem Zeitpunkt, in welchem mangels einer solchen
Bestimmung die Gesellschaft aufgelöst werden würde, der
Gesellschafter, in dessen Person das Ereignis eintritt, aus der
Gesellschaft aus.
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2. Überblick über die Rechtsfolgen
- der Ausscheidende verliert seine Gesellschafterstellung und die durch
diese vermittelte Teilhabe am Gesellschaftsvermögen ®
diese wächst gemäß § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB bei der Rechtsstellung
der verbleibenden Gesellschafter an
- der Ausscheidender erhält statt dessen einen schuldrechtlichen
Abfindungsanspruch
- der Ausscheidende haftet für die vor seinem Ausscheiden begründeten
Verbindlichkeiten den Dritten gegenüber grundsätzlich weiter;
keine Haftung dagegen mehr für Neuver-bindlichkeiten
3. Der Abfindungsanspruch
- nach der gesetzlichen Regelung ein Anspruch, der sofort fällig
ist ® bei seiner Berechnung ist vom "wirklichen
Wert" des Unternehmens auszugehen; dies ist regelmäßig der
sog. Ertragswert
- regelmäßig enthält Gesellschaftsvertrag Klauseln,
welche die Abfindungsansprüche beschränken – Wirksamkeit und
Korrektur der Beschränkungen sind höchst umstritten; auch
die Rechtsprechung hat immer wieder geschwankt ®
zum aktuellen Standpunkt der Rechtsprechung vgl. insb. BGHZ 123, 281
BGHZ 123, 281:
" a) Eine gesellschaftsvertragliche Abfindungsklausel,
die eine unter dem wirklichen Anteils-wert liegende Abfindung vorsieht,
wird nicht deshalb unwirksam, weil sie infolge eines im Laufe der
Zeit eingetretenen groben Missverhältnisses zwischen dem Betrag,
der sich aufgrund der vertraglichen Vereinbarung ergibt, und dem
wirklichen Anteilswert geeignet ist, das Kündigungsrecht des
Gesellschafters in tatsächlicher Hinsicht zu beeinträchtigen.
b) Der Inhalt der vertraglichen Abfindungsregelung
ist jedoch auch in einem solchen Fall durch ergänzende Vertragsauslegung
nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter angemessener
Abwägung der Interessen der Gesellschaft und des ausscheidenden
Gesell-schafters und unter Berücksichtigung aller Umstände
des konkreten Falles entsprechend den veränderten Verhältnissen
neu zu ermitteln ..."
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- allerdings keine Unwirksamkeit eines Abfindungsausschlusses wegen
Sittenwidrigkeit, bei Gesellschaften mit ideeller Zielsetzung, hierzu
BGHZ 135, 387
4. (Ent-)Haftung des ausscheidenden Gesellschafters
- im Innenverhältnis: Ausscheidender hat Freistellungsanspruch
(§ 738 Abs. 1 Satz 2 BGB)
- für das Außenverhältnis: problematisch ist
insbesondere die Enthaftung in bezug auf Ansprüche aus Dauerschuldverhältnissen
® seit dem Nachhaftungsbegrenzungsgesetz
von 1994 gibt es eine spezielle gesetzliche Regelung zur Enthaftung:
§ 160 HGB (fünfjährige materielle Ausschlussfrist)
- Regelung gilt gemäß § 736 Abs. 2 BGB "sinngemäß"
auch für GbR
III. Anteilsübertragung
- ihre prinzipiellen Zulässigkeit wird heute nicht mehr bestritten
® falls der Gesellschafts-vertrag keine
abweichende Regelung trifft, müssen jedoch alle Gesellschafter
zustimmen
- ist Verfügung über die Mitgliedschaft (§ 413 BGB) ®
kann selbst dann formlos vorgenommen werden, wenn sich Grundeigentum
oder GmbH-Anteile im Gesellschafts-vermögen befinden
IV. Ausschluss
1. Ausschließungsklage gemäß § 140 HGB
- anders als bei der GbR kann ein OHG-Gesellschafter nach der gesetzlichen
Regelung nicht durch Gesellschafterbeschluss, sondern lediglich durch
Gestaltungsklage gemäss § 140 HGB ausgeschlossen werden ®
setzt wichtigen Grund voraus (noch "wichtiger als bei den §§ 117, 127
HGB)
2. Ausschließung durch Gesellschafterbeschluss?
- das Schrifttum will insoweit den Gesellschaftern weitreichende Gestaltungsmöglichkei-ten
einräumen ® die Rechtsprechung hat
stark geschwankt (erst keine Abweichung möglich; RG im Jahr 1938:
"Ausschluss im Belieben der Mitgesellschafter"; BGH seit Mitte der 70er
Jahre wieder deutlich restriktiver) ®
historischer Gesetzgeber hielt jedoch die Vorschrift des § 140 HGB offenbar
für zwingendes Recht
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