Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

§ 8 Gesellschaftsschuld und Gesellschafterhaftung

Fall 9: A, B und C sind Gesellschafter der "Computerhandel OHG". Zur Finanzierung des Unternehmens haben die Gesellschafter jeweils eine Bareinlage von 30.000 Euro eingebracht; zudem hat die OHG bei der D-Bank einen Betriebsmittelkredit in Höhe von 200.000 Euro aufgenommen. In seinem Urlaub verursacht A einen schweren Verkehrsunfall. Da er dabei unter erhöhtem Alkoholeinfluss stand, will die Kfz.-Haftpflichtversicherung, die an die Unfallopfer insgesamt 300.000 Euro geleistet hat, A in Regress nehmen. Die Versicherung erkennt, dass das Privatvermögen des A zur Befriedigung ihrer Forderung nicht ausreicht und verlangt deshalb von der OHG die Überweisung dieses Betrages; anderenfalls werde sie die Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen betreiben und auch nicht zögern, auf die gemäss § 128 HGB haftenden B und C zurückzugreifen.

I. Die OHG im Rechtsverkehr

1. Die Vorschrift des § 124 HGB und ihr historischer Hintergrund

Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussischen Staaten von 1857

Art. 87

Jede Handelsgesellschaft als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten und ihr besonderes Vermögen; sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden; sie kann auf ihren Namen Grundstücke und Forderungen erwerben.

  • in Deutschland sieht die ganz h.M. OHG und KG zwar nicht als juristische Personen an; § 124 HGB nähert die Rechtsstellung der Personenhandelsgesellschaften jedoch sehr weitgehend der juristischer Personen an

2. Gesellschaftsvermögen und Gesellschafterschulden

  • Träger des Gesellschaftsvermögens ist die OHG; daher Trennung von Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen und zwar nicht nur beim Aktivvermögen, sondern ebenso bei den Verbindlichkeiten ® gilt auch im Rahmen von gesetzlichen Schuldverhältnissen
  • § 718 Abs. 1 BGB benennt die beiden wichtigsten Quellen des Gesellschaftsvermögens: Beiträge der Gesellschafter und rechtsgeschäftlicher Erwerb

  • die Vorschrift des § 719 Abs. 1 Halbsatz 1 BGB ist nach heutiger Ansicht gegenstandslos

  • § 124 Abs. 2 HGB und § 719 Abs. 2 BGB stellen sicher, dass das Vermögen der Gesellschaft ausschließlich den Gesellschaftsgläubigern zur Verfügung steht ® die Privatgläubiger eines Gesellschafters können nur die Mitgliedschaft pfänden und dann gemäss § 135 HGB vorgehen

3. Zurechnungsfragen

  • Begründung vertraglicher Schuldverhältnisse für die OHG durch organschaftliche Vertretung oder durch Bevollmächtigung
  • Einstehenmüssen der OHG für Leistungsstörungen oder sonstige vertragliche Pflichtverletzungen: für schuldhaftes Verhalten der Gesellschaftsorgane nach § 31 BGB (analog) und für Erfüllungsgehilfen nach § 278 BGB
  • im Rahmen gesetzlicher Schuldverhältnisse, insb. bei unerlaubten Handlungen wird das Verhalten der Gesellschafter der OHG über § 31 BGB (analog) zugerechnet; für Verrichtungsgehilfen haftet sie nach § 831 BGB

II. Haftung der Gesellschafter

1. Bedeutung des § 128 HGB

  • da § 128 HGB die Haftung der Gesellschafter relativ klar regelt, bedarf es im OHG-Recht insoweit nur der Klärung einiger Folgefragen; umstritten ist jedoch die Bedeutung der Norm für andere Bereiche des Gesellschaftsrechts (insb. Haftung bei der GbR oder in der GmbH-Vorgesellschaft) ® im Kern geht es dabei um die Frage: Enthält § 128 HGB eine spezielle gesetzliche Regelung oder steht hinter der Vorschrift quasi eine Art "naturrechtlicher" Rechtssatz?

2. Voraussetzungen der Haftung

· Existiert (zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Verbindlichkeits-Begründung) eine OHG?

· Ist eine Verbindlichkeit der Gesellschaft begründet worden?

· Ist (bzw. war) die Anspruch genommene Person Gesellschafterin der OHG?

· (Nur eventuell zu prüfen): Handelt es sich bei der geltend gemachten Verbindlichkeit um eine sog. Sozialverpflichtung?

3. Haftungsgrundsätze

Der Gesellschafter einer OHG haftet für die Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft

- primär (Gläubiger ist also nicht verpflichtet, erst die Gesellschaft in Anspruch zu nehmen),

- unmittelbar (Gesellschafter muss also an Gläubiger leisten, nicht nur Nachschusspflicht),

- auf das Ganze (und nicht nur pro rata)

- unbeschränkt (weder gegenständliche noch summenmäßige Beschränkung).

Die Gesellschafterhaftung ist akzessorisch. Sie richtet sich deshalb nach dem jeweiligen Stand und dem Inhalt der Gesellschaftsschuld.

4. Inhalt der Haftung - "Erfüllungstheorie" gegen "Haftungstheorie"

Fall 10: E hat die "Sanitär OHG" mit der Durchführung von Klempnerarbeiten im Keller seines Wohnhauses (Einbau von Dusche und Waschmaschinenstellplatz) beauftragt. Kann er wegen der Mängelbeseitigung neben der OHG auch deren geschäftsführenden Gesellschafter A und die von der Geschäftsführung und der Vertretung ausgeschlossene Gesellschafterin B (80 jährige Mutter des A) persönlich in Anspruch nehmen? Vgl. hierzu BGHZ 73, 217.

5. Einreden und Einwendungen - § 129 HGB

  • Vorschrift des § 129 Abs. 1 HGB setzt voraus, dass der in Anspruch genommene Gesellschafter alle Einreden und Einwendungen erheben kann, die auch die Gesellschaft noch geltend machen kann ® die Ausübung gewisser Gestaltungsrechte könnte jedoch mit der gesellschaftsinternen Kompetenzverteilung kollidieren ® die Vorschriften des § 129 Abs. 2 und 3 HGB (vgl. mit § 770 BGB) dienen der Bewältigung dieser Problematik

III. Regress des in Anspruch genommenen Gesellschafters

  • gegen die Gesellschaft: Anspruch aus § 110 HGB, zudem cessio legis? ® von einer im Vordringen befindlichen Ansicht wird diese Frage (gegen die bislang h.A.) bejaht; dies hätte u.a. zur Konsequenz dass dem in Anspruch genommenen Gesellschafter die für die Gesellschaftsschuld bestellten akzessorischen Sicherheiten zustünden
  • gegen die anderen Gesellschafter: Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB (Ausnah-me vom Grundsatz, dass die Gesellschafter nicht für Sozialverpflichtungen haften) - aber nur pro rata-Haftung
  • die Treuepflicht (gegenüber seinen Mitgesellschaftern) verpflichtet den Regressgläubiger jedoch, sich zunächst an die OHG zu halten
  • wichtig: Gemäss § 257 Satz 1 BGB steht einem Gesellschafter, dem die Inanspruchnahme durch die Gläubiger der Gesellschaft droht, gegen die OHG ein Freistellungsanspruch zu.

IV. Der Gesellschafter als Gläubiger von Sozialverbindlichkeiten und als Drittgläubiger

  • soweit ein Gesellschafter Gläubiger von Sozialverbindlichkeiten ist, haften die übrigen Gesellschafter grundsätzlich nicht persönlich (eine Ausnahme bildet der Regressanspruch des von Gesellschaftsgläubigern in Anspruch genommenen Gesellschafters) ® ansonsten könnte § 707 BGB ohne weiteres umgangen werden
  • soweit jedoch der Gesellschafter Drittgläubiger ist, kann er seine Mitgesellschafter nach § 128 HGB in Anspruch nehmen und zwar nicht nur pro rata, sondern auf das Ganze, aber unter Abzug des eigenen Verlustanteils ® ist zudem aus der Treuepflicht heraus verpflichtet, sich zunächst an die Gesellschaft zu halten
Zurück