Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

§ 7 Finanzverfassung der Offenen Handelsgesellschaft

Fall 8: A und B sind Gesellschafter der "A & B Sanitär-OHG", an der sie je einen Kapitalanteil in Höhe von 50.000 Euro halten. A möchte ein Haus erwerben, wofür er 500.000 Euro benötigt. Als A feststellt, dass auf den Konten der OHG über einen längeren Zeitraum ein Betrag von 1,3 – 1,5 Mio. Euro gutgeschrieben ist, hebt er 500.000 Euro ab und erwirbt hiermit das Haus. Vom aufgebrachten B zur Rede gestellt, entgegnet A: Er habe bewusst darauf geachtet, deutlich weniger als die Hälfte der Gesellschaftsgelder abzuheben, damit nicht nur der B zustehende Teil des Gesellschaftsvermögen, sondern auch sein eigener Kapitalanteil der OHG verbleibe. Da er, A, mit seinem gesamten Privatvermögen, also auch mit dem Haus, für die Verbindlichkeiten der OHG hafte, könne B schlecht von ihm verlangen, dass er für den Hauskauf einen teuren Bankkredit aufnehme. Im übrigen habe er nichts dagegen, wenn B ebenfalls 500.000 Euro für private Zwecke von den Gesellschaftskonten abhebe.

I. Überblick

1. Zur Erinnerung: Gesellschaftsanteil, Vermögensanteil, Kapitalanteil

  • vgl. Übersicht zu § 5

2. Ermittlung von Gewinn und Verlust

  • nach § 120 Abs. 1 HGB erfolgt eine periodische Feststellung des wirtschaftlichen Erfolges ("am Schlusse jedes Geschäftsjahrs")

3. Verteilung von Gewinn und Verlust

  • das gesetzliche Modell des § 121 HGB: 4 % Vorausdividende (Abs. 1) – Verteilung des restlichen Gewinns (bzw. der Verluste) nach Köpfen (Abs. 3)
  • nach § 120 Abs. 2 HGB werden die Gewinnanteile auf dem (einheitlichen) Kapitalkonto des Gesellschafters gutgeschrieben

4. Das Entnahmerecht

  • gemäß § 122 Abs. 1 HGB haben die Gesellschafter ein abgestuftes gewinnunabhängiges Entnahmerecht (das Entnahmerecht i.H.v. 4 % darf nicht verwechselt werden mit Anspruch auf 4 % Vorausdividende nach § 121 Abs. 1 HGB)

  • unbefugte Entnahmen sind der Gesellschaft zurückzugewähren und zu verzinsen (§ 111)

5. Ersatz von Aufwendungen (§ 110 HGB)

  • diese Sonderregelung verdrängt § 670 BGB; die §§ 666, 667 und 669 BGB bleiben jedoch anwendbar

II. Ermittlung der Gewinne und Verluste

1. Bilanz, Reinvermögen, Jahresgewinn

  • die Bilanz ist eine Gegenüberstellung des Vermögens und der Schulden eines Kaufmannes, die zum Schluß eines jeden Geschäftsjahres aufzustellen ist (§ 242 Abs. 1 Satz 1 HGB) – darf nicht mit der Gewinn- und Verlustrechnung (Gegenüberstellung der Aufwendungen und Erträge eines Geschäftsjahres) verwechselt werden
  • durch die Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva (vgl. § 266 Abs. 1 HGB) wird das Reinvermögen ermittelt ® der Jahresgewinn (bzw. Jahresverlust) ist der Betrag um den das Reinvermögen während des letzten Geschäftsjahres zugenommen (bzw. abgenommen) hat

2. Bilanzaufstellung und Bilanzfeststellung

  • während die Aufstellung der Bilanz eine Maßnahme der (gewöhnlichen) Geschäftsführung ist, handelt es sich bei der Feststellung der Bilanz um eine Grundlagenentscheidung "mit Kernbereichsrelevanz" – beide Maßnahmen sind wiederum zu unterscheiden von:
  • der Unterzeichnung der Bilanz durch sämtliche persönlich haftende Gesellschafter – ist Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung (§ 245 Satz 2 HGB)

III. Die Gewinn- und Verlustverteilung

1. Zum historischen Hintergrund

  • im 19. Jahrhundert suchte man intensiv nach einem Schlüssel für die Gewinnverteilung, der in allen Fällen zu gerechten Ergebnissen führt – wegen der höchst unterschiedlichen Existenzbedingungen der einzelnen Gesellschaften war dieses Bemühen aber letztlich illusorisch ® mit dem heutigen § 121 HGB ist also nur eine von vielen denkbaren Gestaltungsvarianten Gesetz geworden

2. Der gesetzliche Verteilungsschlüssel (§ 121 Abs. 1, 3 HGB)

  • 4 % "Vorausdividende" ® stößt in der modernen Praxis auf wenig Akzeptanz: zum einen sind 4 % zu wenig, um unterschiedlichen Kapitalbeträgen Rechnung zu tragen; zum anderen werden unterschiedliche Tätigkeitsbeiträge überhaupt nicht beachtet
  • Verteilung des restlichen Gewinns nach Köpfen ® abstrahiert völlig von der Höhe der verschiedenen Einzelbeiträge
  • Verteilung der Verluste nach Köpfen ® läßt insbesondere Unterschiede bei der Gewinnverteilung unberücksichtigt

3. Abweichende Vereinbarungen zur Gewinnverteilung

- in der Praxis macht man von höchst verschiedenen Gestaltungsmodellen Gebrauch; relativ häufig wird vereinbart:

- "Vorabgewinn" · Geschäftsführervergütung

- Verzinsung der Gesellschafterkonten

- Verteilung des restlichen Gewinns nach (festen) Kapitalanteilen

4. Das gesetzliche "Einkonto-Modell" bzw. der variable Kapitalanteil

- § 120 Abs. 2 HGB – der Gewinn wird dem Kapitalanteil zugeschrieben

- § 121 Abs. 2 HGB – Zuschreibungen und Entnahme werden berücksichtigt

5. Nachteile des variablen Kapitalsanteils

  • soweit der Kapitalanteil die Vermögensanteile der Gesellschafter nicht korrekt widerspiegelt (vor allem wegen stiller Reserven), drohen erhebliche Verwerfungen bei Gewinnverteilung und Abfindung
  • permanente Veränderung des Verteilungsmaßstabes für die Ergebnisbeteiligung und (eventuell auch) für die Stimmberechtigung der einzelnen Gesellschafter
  • Entnahmefähigkeit der diversen auf dem Kapitalkonto gutgeschriebenen Beträge muss immer speziell geprüft werden

6. Die Lösung der Praxis: das "Dreikonten-Modell"

  • (festes) Kapitalkonto I – als Maßstab für Verteilung der Gewinne und der Stimmberechtigung
  • (variables) Kapitalkonto II – zur Verbuchung der nicht entnahmefähigen Gewinne und Verluste

  • "Privat"- bzw. "Entnahme"-Konto – ist (anders als die Kapitalkonten I u. II) ein Forderungskonto zur Verbuchung der entnahmefähigen Gewinne und der sonstigen Ansprüche und Verbindlichkeiten im Verhältnis Gesellschaft - Gesellschafter
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