Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

§ 11 Gesellschaft bürgerlichen Rechts

I. Die GbR in der Praxis

  • sehr große Vielfalt der Erscheinungsformen: von Lotto- und Wohngemeinschaften bis hin zur ARGE und zur Freiberufler-Sozietät

II. Rechtsfähigkeit der GbR nach dem Urteil des BGH vom 29.1.2001 (BGHZ 146, 341)

1. Überblick über Entwicklung hin zu BGHZ 146, 341

  • nach der Vorstellung des historischen BGB-Gesetzgebers sollte die GbR ein bloßes Schuldverhältnis sein – vgl. nur Einordnung des Titels über die GbR in die Systematik des BGB; allerdings war man bei der Schaffung des BGB insoweit nicht konsequent, als das "Gesellschaftsvermögen" einer GbR regelmäßig Gesamthandsvermögen sein sollte
  • in den 70er und 80 er Jahren des 20. Jahrhunderts setzte sich dann die – insb. von Flume (vgl. ZHR 1972, 177 ff.) und Ulmer (vgl. Kommentierung der §§ 705 ff. im Münch. Komm. z. BGB, 1. Aufl. 1980) erarbeitete – sog. Gruppenlehre immer mehr durch: Rechtsträger des Gesellschaftsvermögens sind nicht die einzelnen Gesellschafter und auch nicht die Gesellschaft als jur. Person, sondern die Gesellschafter in ihrer Verbundenheit als Gruppe
  • zwar haben die verschiedenen deutschen Rechtsordnungen schon im 19. und 20. Jahr-hundert die Existenz von Verbänden ohne juristische Persönlichkeit nie vollends ignorie-ren können (vgl. z.B. § 50 Abs. 2 ZPO), üblich war es jedoch, die besondere Stellung voll rechtsfähiger Verbände insb. an drei Elementen fest zu machen i.S.v. "Fähigkeiten, die wir uns als Ausfluß juristischer Persönlichkeit zu denken gewohnt sind" (so Stoll, 1929): aktive Parteifähigkeit, Grundbuchfähigkeit, Scheck- und Wechselrechtsfähigkeit
  • zur Wechsel- und Scheckrechtsfähigkeit ® BGHZ 136, 254: "Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist scheckfähig."
  • die Grundbuchfähigkeit der GbR wurde auch nach der Begründung der Gruppenlehre von der h.M. unter Verweis auf § 47 GBO abgelehnt: erforderlich sei Eintragung der Gesellschafter unter Angabe der gesamthänderischen Verbindung ® zu den sich hieraus ergebenen praktischen Problemen vgl. nur LG Stuttgart, NJW-RR 1999, 743 zur Eintragung einer GbR mit ca. 1.500 Gesellschaftern
  • noch im Jahr 2000 verneinte der I. Zivilsenat des BGH die Markenrechtsfähigkeit der GbR, vgl. BGH DB 2000, 217

- zur aktiven Parteifähigkeit:

BGHZ 146, 341

  1. Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet.
  2. In diesem Rahmen ist sie zugleich im Zivilprozeß aktiv und passiv parteifähig.
  3. ... siehe unten

2. Folgeprobleme und offene Fragen

a) Unterscheidung von rechtsfähigen und nicht rechtfähigen GbR

bei der Entscheidung konkreter Fälle stellt sich zukünftig eine zentral bedeutsame Vorfrage: Gehört die konkrete GbR zum Kreis der rechtsfähigen Gesellschaften oder nicht? – vgl. die bewusst offene Formulierung von Leitsatz a) in BGHZ 146, 341

b) (Eventuell) Ausnahmen im Bereich spezieller Rechtsfähigkeiten

  • siehe hierzu den Beschluss des II. BGH-Zivilsenats vom 18.2.2002 (II ZR 331/00, ZIP 2002, 614), der in gewisser Weise das "Nachspiel" zu BGHZ 146, 341 darstellt und mit dem der Senat den Vorwurf ausräumen möchte, er hätte vor seinem Grundsatzurteil den Großen Senat für Zivilsachen des BGH und den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anrufen müssen ® wichtig sind die Aussagen zu Entscheidungen anderer oberster Gerichtshöfe:

· BAG NJW 1989, 3034, 3035: GbR kann nicht Arbeitgeber, also Vertragspartner eines Arbeitsvertrages sein.

BGH hierzu: BGHZ 146, 341 bejaht nicht die Fähigkeit der GbR Arbeitgeber zu sein

· BSGE 61, 15, 17: GbR kann nicht Unternehmer im sozialrechtlichen Sinne sein: BGH hierzu: BSG ist durch

BGHZ 146, 341 nicht daran gehindert, der GbR auch in Zukunft eine entsprechende Fähigkeit zu verwehren

  • Schlussfolgerung für die Fallbearbeitung: Außerhalb des bürgerlichen Rechts sollte der GbR nicht vorschnell (Sonder-)Rechtsfähigkeiten zugesprochen werden; Problematik muss zumindest inhaltlich erörtert werden!

c) Anerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR schließt spezielle Vorschriften nicht aus

  • exemplarisch: BGH v. 16.7.2001, WM 2001, 1764, zur Beteiligung einer GbR als Kommanditistin an einer KG (nicht nur Eintragung der GbR ins Handelsregister, sondern auch ihrer Gesellschafter) ® Regelung als § 162 Abs. 1 Satz 2 ins HGB übernommen

d) Sonderproblem: Grundfähigkeit der GbR

  • für Anerkennung der Grundbuchfähigkeit Teile des rechtswissenschaftlichen Schrifttums etwa Ulmer/Steffek, NJW 2002, 330 ff., mit eingehender Erörterung der Problematik

- siehe demgegenüber:

BayOblG, Beschluss v. 31.10.2002 (2Z BR 70/02), BB 2002, 2518 ff.

Eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist nicht grundbuchfähig; sie kann nicht unter ihrem Namen als Eigentümerin eines Grundstücks oder als Berechtigte eines beschränkten dinglichen Rechts in das Grundbuch eingetragen werden.

III. Haftung der GbR-Gesellschafter

1. Überblick zur Entwicklung hin zu BGHZ 142, 315 und BGHZ 146, 341

  • der historische Gesetzgeber hatte keine Veranlassung, sich mit der Haftung der GbR-Gesellschafter näher zu beschäftigen, denn bei Nichtexistenz der Gesellschaft als besonderes Rechtssubjekt ergab sich die persönliche Haftung der Gesellschafter ohne weiteres
  • erst nach Durchsetzung der Gruppenlehre musste man sich Gedanken über die dogmatisch-konstruktive Herleitung der Gesellschafterhaftung machen
  • im rechtswissenschaftlichen Schrifttum standen sich insoweit die Theorie der Doppelverpflichtung (in Ansatz eine rechtsgeschäftliche Begründung der Gesellschafterhaftung) und die sog. Akzessoritätstheorie (in der Sache: analoge Anwendung von § 128 HGB auf die GbR) gegenüber
  • der BGH folgte in ständiger Rechtsprechung der Doppelverpflichtungtheorie, da seiner (damaligen) Ansicht nach die "unterschiedslose Strenge" der §§ 128 ff. HGB nicht geeignet gewesen ist, der Vielgestaltigkeit der GbR- Rechtformen gerecht zu werden

- im Herbst 1999 Aufgabe der Doppelverpflichtungstheorie durch BGH: "Haftung der Gesellschafter kraft Gesetz" ® neuer Ansatz bleibt zunächst aber noch offen:

BGHZ 142, 315

Für die im Namen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts begründeten Verpflichtungen haften die Gesellschafter kraft Gesetzes auch persönlich. Diese Haftung kann nicht durch einen Namenszusatz oder einen anderen, den Willen, nur beschränkt für diese Verpflichtungen einzustehen, verdeutlichenden Hinweis beschränkt werden, sondern nur durch eine individualvertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden.

- offener Übergang zur Akzessoritätstheorie dann Anfang 2001:

BGHZ 146,341

c) Soweit der Gesellschafter für die Verbindlichkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts persönlich haftet, entspricht das Verhältnis zwischen der Verbindlichkeit der Gesellschaft und der Haftung des Gesellschafters derjenigen bei der OHG (Akzessorietät) – Fortführung von BGHZ 142, 315

2. Folgeprobleme und offene Fragen

a) Haftung für Delikts- und für Altverbindlichkeiten

· 1. Frage: Haften die Gesellschafter einer GbR nach § 128 HGB analog auch für gesetzliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft, insb. für solche aus Delikt?

· 2. Frage: Haftet ein Gesellschafter, der neu in die GbR eingetreten ist, auch für die vor seinem Beitritt begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 130 HGB analog)?

  • das rechtswissenschaftliche Schrifttum spricht sich ganz überwiegend sowohl für eine Haftung für gesetzliche als auch für Altverbindlichkeiten aus; die Rechtsprechung (der Oberlandesgerichte) schwankt noch ® vgl. OLG Hamm, BB 2002, 370; OLG Düsseldorf, ZIP 2002, 614
  • BGH wird vermutlich der herrschenden Meinung des rechtswissenschaftlichen Schrifttum folgen und dies Ergebnis erscheint durchaus angemessen, soweit es um sog. unternehmenstragende Gesellschaften mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis geht

- problematisch dürfte es aber sein, auch sog. schlicht zivilistische Gesellschaften diesen Grundsätzen zu unterstellen:

  

Fall 12: A, B und C gründen die "WG Kastanienstrasse 13", wobei sie u.a. vereinbaren, eine Gemeinschaftskasse zur Finanzierung kleiner Anschaffungen anzulegen. Als C einige Zeit später auszieht, erklärt die D Interesse, in die WG einzutreten. Da die D die Wohnung zuvor besichtigen möchte, entschließen sich A und B zu einem Großreinemachen. Beim Putzen der Fenster stürzt A der Wischeimer vom Fenstersims, wodurch der Passant R verletzt wird. Einige Tage später tritt die D in die WG ein. Als R die Bezahlung der Behandlungskosten verlangt, stellt sich das finanzielle Unvermögen des A heraus. R will deshalb die D in Anspruch nehmen.

 

b) Ausschluss persönlicher Gesellschafter-Haftung durch haftungsbeschränkende AGB?

- durch Individualvertrag zwischen der GbR und dem Gläubiger kann die persönliche Haftung der GbR-Gesellschaft für die konkrete Verbindlichkeit zweifelsfrei ausgeschlos-sen werden; für die Praxis von erheblicher Bedeutung ist jedoch die Frage, ob die Haftung auch durch den Gebrauch entsprechender Allgemeiner Geschäftsbedingungen verhindert werden kann

- wird von einigen Autoren des rechtswissenschaftlichen Schrifttums (vgl. inbs. Ulmer, ZIP 1999, 509 ff.) für möglich gehalten, wobei zur Begründung vor allem auf § 714 BGB und auf das Fehlen einer § 126 HGB entsprechenden Norm im Recht der GbR verwiesen wird

- von BGHZ 142, 315 eindeutig abgelehnt, vgl. oben Leitsatz der Entscheidung; jedoch:

BGHZ 150, 1

"2. Für nach der Änderung der Rechtsprechung abgeschlossene Verträge von geschlossenen Immobilienfonds in der Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gilt als Ausnahme von den Grundsätzen der Senatsurteile BGHZ 142, 315 und BGHZ 146, 341, dass die persönliche Haftung der Anlagegesellschafter für rechtsgeschäftlich begründete Verbindlichkeiten des Immobilienfonds wegen der Eigenart derartiger Fonds als reine Kapitalanlagegesellschaften auch durch wirksam in den Vertrag eingezogene formularmäßige Vereinbarungen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden kann, ohne dass darin grundsätzlich eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners im Sinne von § 307 BGB n.F. gesehen werden kann.

III. Zur Erinnerung: Wichtige Unterschiede zwischen GbR und OHG

 

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

Offene Handelsgesellschaft

Zulässiger Zweck

grundsätzlich jeder (§ 705 BGB); nicht aber Betrieb eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes (§ 105 Abs. 1 HGB)

Betrieb eines vollkaufmännischen Handels-gewerbes (§ 105 Abs. 1 HGB);nach § 105 Abs. 2 HGB können auch minderkaufmännnische und Vermögens-verwaltungsgesellschaften OHG werden

Eigener Name?

GbR ist zwar namensfähig, doch muss von dieser Fähigkeit nicht unbedingt Gebrauch gemacht werden

Firma erforderlich (§ 105 Abs. 1 HGB)

Anmeldung zu einem Register?

nein

Anmeldung zum Handelsregister (§§ 106 – 108 HGB)

Entstehung der Gesellschaft

mit Abschluss des Gesellschaftsvertrages

Mit Eintragung ins Handelsregister (§ 123 Abs. 1 HGB); bei Geschäftsaufnahme vor Registereintragung entsteht die OHG schon zum Zeitpunkt der Geschäftsaufnahme (§ 123 Abs. 2 HGB)

Geschäftsführung

Gemeinschaftliche Geschäftsführung aller Gesellschafter (§ 709 BGB)

Einzelgeschäftsführung mit Widerspruchsrecht (§ 115 Abs. 1 HGB)

Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis

durch Gesellschafterbeschluss (§ 712 BGB)

durch gerichtliche Entscheidung (§ 117 HGB)

Vertretung

Gesamtvertretung (§ 714 BGB)

Einzelvertretung (§ 125 HGB)

Reichweite der Vertretungsmacht

bislang: Vertretungsmacht reicht im Zweifel ebenso weit wie Geschäftsführungsbefugnis (d.h. Reichweite der Vertretungsmacht frei gestaltet, da keine Entsprechung für § 126 HGB)

zukünftig: ?

Unbeschränkte und unbeschränkbare Vertretungsmacht (§ 126 HGB) – nicht erfasst wird allerdings der Bereich der Grundlagengeschäfte

Entziehung der Vertretungsmacht

durch Gesellschafterbeschluss (§ 715 BGB)

durch gerichtliche Entscheidung (§ 127 HGB)

Auflösung durch Zweckerreichung und Zweckvereitelung?

ja, vgl. § 726 BGB

nein, Auflösungsbeschluss der Gesellschafter erforderlich; eventuell Auflösung durch gerichtliche Entscheidung (§ 133 HGB)

Auflösung durch Tod eines Gesellschafters

grundsätzlich ja, vgl. § 727 Abs. 1 BGB

grundsätzlich nein, vgl. § 131 Abs. 3 Nr. 1 HGB n.F.

Ausschluss eines Gesellschafters

durch Gesellschafterbeschluss (§ 737 BGB)

durch gerichtliche Entscheidung (§ 140 HGB)

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